GQ Men of the Year

Louis Hofmann im GQ-Interview: „Aus Krisen entsteht immer auch etwas Positives“

Kein anderer deutscher Schauspieler seiner Generation tritt in so vielen internationalen Filmen und Serien in Erscheinung wie Louis Hofmann. Mit seiner Gabe, auch die verletzlichen und weichen Seiten vielschichtiger Männerfiguren zu zeigen, ist er für uns ein GQ Man of the Year.
Schauspieler Louis Hofmann im exklusiven Fotoshooting mit GQ
Schauspieler und MOTY Preisträger Louis Hofmann im exklusiven Fotoshooting mit GQDrew Jarrett

Louis Hofmann im Interview mit GQ.

Louis Hofmann streikt. Auf den ersten Blick sieht das nach einer vergnüglichen Betätigung aus. Er sitzt lächelnd zu Hause in seiner Wahlheimat London und sagt in die Kamera seines Laptops: „Ich habe so was auch noch nie erlebt.“ Doch er weiß, das Thema ist ernst. Es geht um Existenzen – auch um seine.

In der Traumfabrik stehen die Bänder still. Die großen Hollywood-Studios prallen auf die Realität derjenigen, mit denen sie ihr Geld machen. Zu dieser Realität gehört auch, ausnahmsweise mal Abstand zu gewinnen zu dem Glauben, Schauspieler seien allesamt millionenschwere Stars, die mit Helikoptern vom Filmset abgeholt werden, um von jubelndem Publikum im Fernsehstudio einer Late-Night-Show empfangen zu werden. „Natürlich gibt es glamouröse Seiten, aber nur für einen super-, super-kleinen Teil unserer Branche“, sagt Hofmann. (Lesen Sie auch: Künstlerin Marina Abramović im GQ-Interview: “Das Publikum und ich sind eins”)

Louis Hofmann in Prada, Ring Bunney

Drew Jarrett

Wie Louis Hofmann den Schauspielerstreik erlebte

Der Streik fokussiert auf die tatsächliche Arbeit der Schauspieler und ihre Bedingungen. Im Durchschnitt lag der Stundenlohn eines Schauspielers in Kalifornien 2022 bei gerade mal 27,73 Dollar, gibt das US Bureau of Labor Statistics an. Als wir darüber sprechen, weist Hofmann auf das Mindesteinkommen hin, das viele Schauspieler nicht erreichen, um überhaupt krankenversichert zu werden.

Die Fronten haben sich zuletzt verhärtet. Das Gespräch mit Hofmann findet kurz vor dem hundertsten Tag des Streiks statt, zu dem die amerikanische Gewerkschaft der Schauspielerinnen und Schauspieler ab dem 14. Juli aufgerufen hatte. Gerade in der Vorwoche vermeldete die „New York Times“, die Verhandlungen zwischen den Gewerkschaftsvertretern und den Vertretern der Film- und TV-Produzenten seien geplatzt. Die Gewerkschaft verlangt für Schauspieler eine faire Beteiligung an Einspielergebnissen und eine Regelung zum Umgang mit künstlicher Intelligenz. Zur Verhandlung stehen die Konditionen, zu denen die Fabrik künftig ihre Träume produziert. (Lesen Sie auch: Pop-Ikone Troye Sivan im Interview: “'Rush' ist für mich so Berlin!”)

Da Hofmann sich mit den Streikenden solidarisiert, spricht er nicht über seine kommenden Projekte, sodass wir sie in unserem Interview auslassen. Das hätte als Promotion für die Studios gewertet werden können.

Er sei zu Beginn des Schauspielerstreiks gerade in Los Angeles gewesen, erzählt er, und habe am Anfang nicht ahnen können, was für ein Ausmaß das Thema annehmen würde, erinnert er sich. „Als Schauspieler ist es auf der einen Seite erst mal frustrierend, darauf warten zu müssen, dass man wieder Anfragen bekommt und über Projekte spricht, auf der anderen Seite ist mir total bewusst, was für eine Notwendigkeit all das hat.“ Allein die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz, erklärt Hofmann, sei Grund zur Sorge. „Wenn der Einsatz von KI so exponentiell steigt, wie er das in den letzten Jahren getan hat, dann ist auf jeden Fall unser Beruf in Gefahr.“ (Lesen Sie auch: Amazon Prime Serien: Das sind laut Kritik die 30 besten Serien)

Hemd, Hose und Schal (als Gürtel) Magliano, Gürtel Martine Rose, Boots Solid Homme

Drew Jarrett

Louis Hofmann war schon mit 19 Jahren bei der Oscar-Verleihung

Es lässt aufhorchen, so etwas wie eine berufliche Existenzangst von jemandem wie Louis Hofmann zu hören. Er ist längst angekommen im globalen Filmbiz. Kein anderer deutscher Schauspieler seiner Generation spielt in so vielen internationalen Produktionen mit wie der 26-Jährige. Sein schauspielerischer Ausdruck zeugt von künstlerischem Selbstbewusstsein. Seine Erfolge zeugen von seiner Geschäftigkeit. Die vielen Filmpreise zeugen davon, dass sein Talent nicht nur eingesetzt, sondern auch gesehen wird.

Er war gerade mal 19 Jahre alt, als er bei der Oscar-Verleihung über den roten Teppich flanierte. Das war im Jahr 2017, als die dänische Produktion „Unter dem Sand“ in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ für einen Oscar nominiert war.

Welche Filmikonen er damals getroffen hat? Welche seiner Idole er in der Nacht angesprochen hat? „Ich war 19!“, sagt Hofmann mit Nachdruck und lacht dann, „ich habe mich nicht getraut, ich war ein richtig kleines Kind.“ Er habe in der allerletzten Reihe gesessen. Es war das Jahr, in dem Leonardo DiCaprio seinen ersten Oscar erhielt und am Ende aus Versehen „La La Land“ als bester Film ausgerufen wurde, obwohl „Moonlight“ den Oscar gewann. (Lesen Sie auch: Eddie Redmayne im GQ Interview: “Ich bin auf dem Weg in die Gegenwart.”)

Louis Hofmann – seine wichtigsten Rollen

In „Unter dem Sand“, einem überragend guten Antikriegsfilm, spielt Hofmann einen jungen Kriegsgefangenen kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Dänische Offiziere zwingen die jungen Deutschen, die Landminen der Wehrmacht an den Stränden Dänemarks zu finden und zu entschärfen. Jeder Schritt der sehr jungen Männer, fast noch Kinder, am Strand könnte ihr letzter sein. Man erträgt es kaum, mitanzusehen, wie sie mit zittrigen Fingern im Sand nach den Zündern suchen. Manche von ihnen zerreißt die Explosion. Sie sind Geiseln eines Landes, das von den Nazis überfallen und terrorisiert wurde, in dem nun die Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern werden, Überlebende eines am Boden liegenden Europas.

Die blonden Haare und blauen Augen, seine feinen Gesichtszüge, die helle Stimme machen Louis Hofmann zu einer perfekten Projektionsfläche des unschuldig schuldig gewordenen Kriegsverlierers. Hofmann hat ein Gesicht, in dem zu jedem Gefühl immer auch das gegensätzliche Gefühl noch seinen Platz findet. Stärke und Verletzlichkeit. Oder Virtuosität und Verlorenheit, etwa in dem Film „Prélude“, in dem Hofmann 2019 einen Pianisten an einer Musikhochschule spielt. Der hochbegabte junge Mann kämpft mit dem Druck der Perfektion. Das Zerbrechen am eigenen Anspruch lässt Hofmann wie Wolken bei Sturm über sein Gesicht ziehen.

Eine andere Seite seines Schauspiels war Anfang dieses Jahres in dem Kinofilm „Seneca – Oder: Über die Geburt von Erdbeben“ zu sehen. Hofmann spielt an der Seite von John Malkovich und Geraldine Chaplin den gegen seinen Lehrer Seneca aufbegehrenden Schüler Lucilius im alten Rom. (Aus der neuen GQ: Das Tom Ford Exit-Interview – Ein Gespräch über Tod, Sex und Geld)

Louis Hofmann über “Dark”

Auch ein Kapitel deutscher Fernsehgeschichte hat Hofmann mitgeschrieben. Als Netflix sich im Jahr 2016 entschied, auch in Deutschland seine Originals produzieren zu lassen, war Hofmann das Gesicht der Serie „Dark“, ein internationaler Durchbruch für ihn, ein gigantisches Projekt für die deutsche Branche, von vornherein auf drei Staffeln angelegt, und tatsächlich begeisterte sich für die Serie ein internationales Publikum. In US-Medien erschienen damals Artikel darüber, wie man Untertitel an- und ausstellt oder zwischen der synchronisierten und der Originalfassung wechselt. Weite Teile der amerikanischen Netflix-Nutzer waren nicht mit ausländischen Stoffen vertraut.

Damals brach eine Goldgräberstimmung unter deutschen Produzenten aus, die alle Gewerke erfasste. Es gab Zeiten, in denen man in Berlin kaum noch einen Kameramann buchen konnte, Projekte mussten verschoben werden, weil Studios weithin ausgebucht waren. Für Schauspieler waren plötzlich Karrieren denkbar, die erst durch den Boom der Streamer möglich wurden. Hofmann hat so eine Karriere gemacht. „Dark“ macht ihn zu einem Weltstar. Hatte er sich den Erfolg von „Dark“ vorher vorstellen können? „Es war schon klar, dass es eine sehr große Chance sein kann, ein Vorreiter von einem riesigen Streaming-Boom zu sein. Das schwirrte in der Luft.“ Aber ob das wirklich funktionieren würde, konnte niemand wissen. Während der Dreharbeiten habe der Sender nie wieder von sich hören lassen. „Heute wird bei allen Streaming-Sendern mit viel größerer Vorsicht agiert. Damals war die große Chance, überhaupt erst mal zu gucken, ob man aus Deutschland heraus produzieren kann.“ Hofmann erinnert das als großartige und schöne Zeit. „Da hatte ich noch nicht den Druck, den ich mir dann ab Staffel 2 und 3 gemacht habe, weil ich wusste, dass es genauso gut oder besser werden musste.“

Wenn der internationale Erfolg direkt nach der ersten Staffel gekommen wäre, sagt Hofmann im Rückblick, „hätte mich das überfordert“. Erst während der Pandemie seien die Zuschauerzahlen der dritten Staffel explodiert. „Wenn das auf einen Schlag gekommen wäre, hätte ich damit nicht so gut umgehen können.“ In Momenten wie diesen wirkt Hofmann seiner eigenen Wirkmacht gegenüber skeptisch, vor allem aber demütig.

Als er im Jahr 2018 die Goldene Kamera gewinnt und die Moderatoren ihm den Nachwuchspreis überreichen, sagt Hofmann in seiner Dankesrede: „Ich mach’ das ja schon seit zehn Jahren“, und beginnt zu lachen, als würde er selbst gerade in diesem Moment begreifen, längst kein Nachwuchsschauspieler mehr zu sein. (Auch interessant: Franz Rogowski im Interview über die Kunst, Intimität auf die Leinwand zu bringen und seinen neuen Kinofilm "Passages")

Fellmantel Connolly, Mantel (darunter) Gucci, Hemd, Hose und Krawatte Martine Rose, Gürtel Our Legacy, Boots Martine Rose

Drew Jarrett

Louis Hofmann über die Anfänge seiner Karriere

Ganz im Gegenteil, seine Karriere begann gleich damit, aufzufallen. Mit Talent. Mit Achtungserfolgen. Mit Hingabe. Hofmann ist 13 Jahre alt, als er die Titelrolle in dem Kinofilm „Tom Sawyer“ spielt, ein paar Jahre später die Hauptrolle in dem viel beachteten Drama „Freistatt“, ein Kraftakt für einen so jungen Schauspieler. Hofmann verkörpert – die Betonung liegt auf „Körper“ – einen Jungen, der in den 1960er-Jahren in einem kirchlichen Erziehungsheim psychischen Qualen und Folter ausgesetzt ist. Es regnet Preise für den Film und Hofmanns Darbietung. Spätestens jetzt wiegt der Name Louis Hofmann schwer, wenn man in Deutschland einen anspruchsvollen Film machen will. Nach „Dark“ auch im Ausland.

Die Kamera mag ihn, und er mochte die Kamera schon als Kind. Hofmann habe sich nie in einer Theater-AG oder ähnlichen Formaten ausprobiert, sondern sei rein zufällig vor der Kamera gelandet. Für den WDR testete er mit neun Jahren in einer Regionalsendung Freizeitangebote. Dort moderierte eine Frau, die auch Schauspielerin war. „Wie die über ihren Beruf geredet hat, fand ich faszinierend. Das wollte ich dann auch.“ Er habe einfach seine Eltern gezwungen, ihn bei einer Agentur anzumelden. Gerade vor Kurzem habe er noch mal mit seiner Mutter über die Zeit damals gesprochen, erzählt er lachend. „Meine Mutter dachte, ich würde ein paar Komparsenrollen bekommen. Es kam aber direkt nach zwei Wochen eine Anfrage für einen riesigen Kinderfilm, drei Monate in Vietnam. Da wurde sie kurz mal mit der Realität konfrontiert, Mutter eines Kinderschauspielers zu sein.“ Der erste Gedanke seiner Mutter sei gewesen, was der Junge mit seiner Gluten-Allergie mache. Vietnam wurde letztlich abgesagt, bald darauf kam „Tom Sawyer“. „Später hatte ich einfach nur noch wahnsinnig Glück“, sagt Hofmann bescheiden.

Was macht ein Schauspieler heute aus dem Erfolg und der Aufmerksamkeit, die er in so jungem Alter erhält? Sich vergewissern, was er will. Hofmann sagt: „Was ich versucht habe, wenn ich Zeit hatte, war, trotzdem meinen Wurzeln treu zu bleiben, dem Arthouse-Film.“ Es sei ihm immer wichtig gewesen, relevante und gute Geschichten zu erzählen. „Meilensteine waren bei mir Serien und Fernsehfilme, aber mein Herz schlägt für den Indie-Film.“ Welche Rollen er als seine wichtigsten ansehe? „‚Tom Sawyer‘, mein erster Film, ‚Freistatt‘, mein Schritt in die dramatischen Rollen, ‚Unter dem Sand‘, objektiv der beste Film, den ich gemacht habe, ‚Mitte der Welt‘ und dann ‚Der Passfälscher‘.“

Das seien die Filme, bei deren Arbeit er am meisten aufgegangen sei. Er habe einen großen Zug, sagt er, „zu so leidenden und gequälten Figuren“, aber das wolle er eben nicht nur machen. „Figuren, die so krass das Leben spüren, bereiten mir auch sehr viel Freude.“ Er freue sich auf neue Herausforderungen und andere Rollentypen. „Viele meiner Figuren werden immer noch eine gewisse Sensibilität von mir mitbekommen, aber ich freue mich definitiv auf die Zeit, in der ich nicht nur der leidende junge Mann sein werde.“

Louis Hofmann steht für ein Männerbild fernab der Klischees

Dass Louis Hofmann mit seiner Rollenauswahl immer auch an einem Männerbild mitwirke, das Empfindsamkeit und die eher als unmännlich verklärten Eigenschaften zulasse, habe er sich noch gar nicht bewusst gemacht, aber ihm gefalle der Gedanke, sagt er. „Wenn es um die Sensibilität geht, die ich mit in die Figuren nehme, ist das auf jeden Fall mein Männerbild und, ja, es ist natürlich toll, zu wissen, dass diese Charaktere etwas anstoßen und dass das keine stereotypen Männer sind, die man sonst so viel im Film gesehen hat.“

Der Streik ist – nach der Pandemie – nun schon die zweite berufliche Zwangspause, der er sich ausgesetzt sieht. „Dadurch, dass ich meine Karriere in den letzten Jahren immer mehr in den internationalen Raum verlegt habe, stand ich jetzt in den letzten Monaten etwas abwartend da, im Gegensatz zu vielen Deutschen, die weiterhin arbeiten konnten und durften.“ Hofmann sagt das halb lachend, was wahrscheinlich der Ironie des Schicksals geschuldet ist, gerade dann von einem Streik ausgebremst zu werden, als er mit seinem Umzug nach London vor fast einem Jahr einen weiteren Schritt auf den internationalen Markt gemacht hat. „Aus Krisen entsteht immer auch etwas Positives“, sagt er. In den letzten Monaten habe er sich der Musik gewidmet, der Live-Kultur in London, experimentiere mit einem eigenen DJ-Controller und, das überrascht, er habe mit dem Malen angefangen. Er wolle niemals irgendwo eine Ausstellung machen, aber „im Moment sein und sich einfach mal auf eine Sache konzentrieren“. (Lesen Sie auch: Disney Plus Serien: Das sind laut Kritik die 30 besten)

Und welche Filme waren die wichtigsten, die er sich selbst im Kino anschaut? „Also, das kann ich immer nur für die letzten ein, zwei Jahre sagen, und das sind für mich ‚The Worst Person in the World‘, ‚Aftersun‘ und ‚Close‘. Bei ‚The Worst Person‘ saß ich ab der Hälfte nur noch weinend im Kino, um dann aber unfassbar glücklich nach Hause zu gehen.“ Glücklich worüber? „Ich war beseelt von dem Gedanken, was Kino kann.“ Hofmann sagt das, als wüsste er nicht, dass er selbst genau das auch kann.


Das Gespräch mit Louis Hofmann fand während des Schauspielerstreiks statt. Aus Solidarität mit den Streikenden haben wir nicht über die Serie „Alles Licht, das wir nicht sehen“ gesprochen, die im November angelaufen ist.


Fotos: Drew Jarrett von Supervision
Foto-Assistenz: Simon Melber
Styling: Stuart Williamson
Styling-Assistenz: Lizzie Ash
Produktion: Pauline Creac‘h & Natalie Bertaux von Supervision
Näherin: Anissa Aouar von Chapman & Burrell
Set-Design: Alun Davies
Set-Design-Assistenz: Megan McCowan
Haare: Charley McEwen von Frank Agency
Post Produktion: Kapture NYC