Olympische Spiele 2024: Hier nimmt die Elite des Sports teil – und viele von ihnen setzen auf eine vegane Ernährung, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.
Vor einem Jahrzehnt hätte Diana Taurasi, Spielerin beim Team Phoenix Mercury der nordamerikanischen Frauen-Basketball-Profiliga WNBA nach einem harten Training wahrscheinlich Steak mit Spiegeleiern gegessen. Heute jedoch besteht das Frühstück der 41-jährigen Basketballspielerin aus Sojamilch-Smoothies aus Hanf-, Lein- und Chiasamen; mittags gibt es Tofu, Brokkoli und Reis, während zum Abendessen Enchiladas mit Gemüsefüllung und veganem Käse serviert werden. Taurasi hat im Jahr 2016 ihre Ernährung umgestellt und gehofft, damit ihre Gesundheit langfristig zu verbessern. Ob das funktioniert hat? “Ich spürte die Veränderung sofort”, sagt sie. “Ich erhole mich viel schneller. Das, was ich jetzt auf dem Platz schaffe, konnte ich nicht mal mit 28 Jahren machen.”
Taurasi hat ein Karriere-Hoch erreicht, ihre Leistung war nie besser. Sie ist 10-facher WNBA-All-Star, hat drei Titel gewonnen und ist die beste Scorerin der Liga. Im vergangenen Jahr erzielte sie ihren 10.000. Punkt. Bei Olympia 2024 in Paris will sie ihre sechste Goldmedaille gewinnen. Doch sie ist nicht die einzige Teilnehmerin, die dabei auf eine pflanzliche Ernährung setzt.
Olympische Spiele 2024: Pflanzliche Ernährung immer beliebter
Studien zeigen, dass Veganismus im Sport immer beliebter wird. In einer 2020 im “International Journal of Sports and Exercise Medicine” veröffentlichten Übersichtsarbeit schätzt die Sportwissenschaftlerin Katharina Wirnitzer, dass sich bis zu 17 Prozent der Menschen in bestimmten Gruppen vegan ernähren. “Es ist sehr wahrscheinlich, dass es keine soziale Gruppe oder Sportmannschaft mehr gibt, in der sich jemand nicht vegan ernährt”, schreibt sie. Heute ernähren sich auch viele im Spitzensport vegan. Die Tennisschwestern Serena und Venus Williams, der deutsche Leichtathlet Constantin Preis, der Tennisspieler Novak Dojokovic, und die amerikanische Fußballspielerin Alex Morgan beispielsweise setzen auf eine überwiegend pflanzliche Ernährung.
Obwohl man öfter das skeptisch vorgebrachte Argument hört, dass vegane Ernährung nicht genügend Proteine und Kalorien für die Wettkämpfenden auf hohem Niveau enthält, sehen viele Sporttreibende den Veganismus als Faktor für ihren Erfolg an: “Ich wurde Weltmeisterin, nachdem ich begonnen habe, mich vegan zu ernähren”, sagt Meagan Duhamel, die 38-jährige Eiskunstläuferin, die bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Südkorea Gold- und Bronzemedaillen im Team- und Paarlauf gewann. Die Sportlerin hat 2008 angefangen, tierische Produkte aus ihrer Ernährung zu streichen und ist seither eine Verfechterin der veganen Ernährung im Sport. Nach ihrem Sieg zog sie sich zurück, um andere in der Kunst des Eislaufens zu trainieren und schreibt ihren sportlichen Erfolg noch immer ihrer täglichen Schüssel Haferflocken, den selbstgemachten Kichererbsen-Erdnussbutter-Protein-Keksen und ihrer Linsenpasta zu.
Der ehemalige Gewichtheber des USA-Teams, der 37-jährige Kendrick Farris, hat ähnliche Erfahrungen gemacht wie Duhamel: “Wenn meine Konkurrenz verletzt war, wurden sie dadurch an den Rand gedrängt. Ich hingegen konnte weitermachen”, so Farris. Der dreimalige Olympiateilnehmer hält immer noch Rekorde für die USA im Stoßen und im Zweikampf in der Gewichtsklasse bis 94 kg. “Ich bin ein großer Pfannkuchenfan”, sagt er. Sein Lieblingsrezept? Vollkornmehl, zerdrückte Bananen, Mandelmilch, frische Beeren und Ahornsirup.
Kann vegane Ernährung eine leistungssteigernde Wirkung haben?
Keine einzige Studie konnte eindeutig nachweisen, dass eine vegane Ernährung die sportliche Leistung steigert. Und doch gibt es gleich mehrere wissenschaftlich untermauerte Gründe, die erklären könnten, warum pflanzliche Lebensmittel die eigenen Leistungen ankurbeln. “Training auf Spitzenniveau verursacht enorm viele oxidative Schäden”, erklärt Desiree Nielsen, Ernährungsberaterin und Kochbuchautorin, die sich auf pflanzliche Ernährung spezialisiert hat.
“Athleten wachen morgens auf und fühlen sich fast wie verkatert, weil sie so viele Entzündungen von den gestrigen Anstrengungen haben”, erklärt sie. Indes stecken nicht-tierische Produkte voller Antioxidantien. Zudem fördert eine ballaststoffreiche Ernährung, also der Verzehr von Bohnen und Vollkornprodukten, das Wachstum nützlicher Darmbakterien. Diese Mikroben produzieren bestimmte Verbindungen, die wiederum mit einer entzündungshemmenden Wirkung und einer Verbesserung der Immunfunktion in Verbindung gebracht werden. Beides ist im Sport zentral, wo es immer an die körperlichen Grenzen der Belastbarkeit geht.
Eine pflanzliche Ernährung enthält in der Regel auch weniger gesättigte Fette, was zu gesünderen Arterien führt, die Durchblutung verbessert und eine optimale Sauerstoffversorgung der Muskeln gewährleistet – was wiederum die Ausdauerleistung steigern kann.
Wie man bei pflanzlicher Ernährung die Proteinzufuhr sichern kann
Routinemäßige Gesundheitstests sind im höchsten Niveau des Sports Routine. Besonders wichtig sind sie jedoch für diejenigen, die tierische Produkte meiden, erklärt Rikki Keen, Ernährungsberaterin des USA-Teams. Das hängt damit zusammen, dass essenzielle Nährstoffe wie Vitamin B12, Eisen, Kalzium, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren in pflanzlichen Lebensmitteln in geringen Mengen enthalten sind und oft durch Vitamine ergänzt werden müssen. Während alle Profisporttreibenden ihre Ernährung strategisch planen und ihre Mahlzeiten sich aus nährstoffreichen Zutaten zusammensetzen müssen, müssen alle, die sich vegan ernähren, besonders darauf achten, dass sie genügend Eiweiß bekommen, um Muskeln aufbauen zu können.
Pflanzliche Quellen können zwar alle benötigten essenziellen Aminosäuren liefern, haben aber im Vergleich zu tierischen Proteinen einen geringeren Anteil an Leucin. Die Aminosäure also, die für das Wachstum und die Reparaturfähigkeit unseres Körpers entscheidend ist. Daher muss man bei einer veganen Ernährung und hoher sportlicher Betätigung mehr Tofu essen, um die gleiche Menge Leucin zu erhalten wie in einem ähnlich portionierten Steak. “Die Quelle spielt dabei allerdings keine Rolle: Ihr Körper kann nicht unterscheiden, von welcher Quelle das Leucin stammt – ob es von einem Tier oder einer Pflanze kommt”, so Ernährungsspezialistin Nielsen.
Französischer Sternekoch wird die Sport-Elite vegan bekochen
Das Küchenpersonal der Olympischen Spiele in Paris ist vorbereitet, um die Teilnehmenden mit pflanzlicher Kost zu versorgen. In dem Bestreben, den Co2-Ausstoß der wichtigsten Sportveranstaltung der Welt zu verringern, verdoppelt die Leitung der Spiele die Anzahl der veganen Optionen im Vergleich zu den Olympischen Sommerspielen 2020 in Tokyo und denen in Rio de Janeiro vier Jahre zuvor. Mindestens 33 Prozent der Speisen im Restaurant des Athletendorfes werden auf pflanzlicher Basis zubereitet, darunter das knusprige Quinoa-Müsli und ein herzhaftes Gemüse-Moussaka des französischen Michelin-Sterne-Restaurants Akrame.
Jennifer Bargisen, die stellvertretende Leiterin der kulinarischen Abteilung von Sodexo Live, dem offiziellen Catering-Partner der Spiele, ist besonders von asiatischen, afrikanischen und karibischen Gerichten begeistert: “Alle diese Küchen haben traditionell einen starken pflanzlichen Schwerpunkt”, so Bargisen. Ihr Team werde in den kommenden zwei Monaten täglich 40.000 Mahlzeiten in dem vorübergehend “größten Restaurant der Welt” servieren.
Um die Tausende von Kalorien zu sich zu nehmen, die Sporttreibende als Energiequelle brauchen, müssen sich vegan Ernährende oft mehr Nahrung zu sich nehmen als diejenigen, die tierische Lebensmittel essen. Constantin Preis, ein 400-Meter-Hürdenläufer aus dem deutschen Team, isst nach seinem intensiven, stundenlangen Training am Nachmittag eine Mahlzeit mit 1500 Kalorien, wie Chili mit Seitan, Bohnen und verschiedene Gemüsesorten. “Das ist eine Menge” sagt er. Fast so viel wie ein ganzer Tagesbedarf für eine Person, die keinen Sport macht. Marina Fioravanti, 30 Jahre alt, die für die brasilianische Rugby-Mannschaft spielt, setzt an ihren trainingsreichen Tagen auf “nahrhafte und schmackhafte” Grundnahrungsmittel wie Protein-Smoothies, Reis und Bohnen, Linsen-Bolognese und Haferflocken mit Chiasamen.
Viele Sporttreibende wollen die Vorteile des Veganismus mit anderen teilen
Alle, die sich vegan ernähren, Profisport betreiben und an einen Ort reisen, an dem ihre bevorzugten Lebensmittel womöglich nicht erhältlich sind, müssen sich ausgiebig vorbereiten. “Ich packe mindestens die tägliche Menge an Nährstoffen ein, die ich benötige, um meine Leistung zu erbringen”, sagt Preis, der zugibt, dass sein Koffer “normalerweise voll mit Lebensmitteln ist”. Die mentale Energie, die es kosten kann, eine streng vegane Ernährung beizubehalten, hat Preis zum Nachdenken gebracht. Nach den Spielen in Paris will er wieder Fleisch essen, um seine Mahlzeiten zu vereinfachen: “Ich will sehen, wie ich mich fühle, wenn ich umstelle”, sagt er.
Andere Athlet:innen haben von ihrer langfristigen pflanzlichen Ernährung so sehr profitiert, dass sie anderen helfen wollen, ihre Essgewohnheiten ebenfalls umzustellen. Der ehemalige Gewichtheber Farris hält in der Gemeinde in seinem Heimatstaat Louisiana Vorträge über eine ausgewogene Ernährung. “Wir arbeiten bei Gemeindeveranstaltungen und bieten den Menschen [pflanzliche] Alternativen zu traditionellen Lebensmitteln an”, sagt er. Duhamel hingegen betreibt jetzt einen Blog mit dem Titel “Lutz of Greens”, in dem sie Trainings- und Ernährungstipps sowie Rezepte für Süßkartoffel-Brownies und herzhafte Gemüsepfannkuchen teilt. “Ich bekomme viele Nachrichten von Leuten, die mich um Hilfe bei der Umstellung auf eine vegane Ernährungsweise bitten”, sagt sie.
Taurasi berichtet, dass der Verzicht auf tierische Produkte dazu geführt hat, dass sie mit ihrer Familie kreativer beim Kochen ist. Sie machen vegane Lasagne, Tacos und Pizzen selber. Ihr Speiseplan ist sehr vielfältig, sagt sie: “Ich habe zum Beispiel in drei Tagen drei verschiedene Pilze gegessen”. Eines steht jedoch fast immer auf dem Tisch: “Wir versuchen, jeden Tag Bohnen zu essen.”
Dieser Artikel ist im Original bei Bon Appétit erschienen.