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Tennis-Legende Roger Federer im Interview: “Ich vermisse es wirklich nicht. Ich empfinde eine innere Ruhe.”

Fast zwei Jahre nach seinem Rückzug aus dem Tennissport hat Roger Federer einen neuen Lebensrhythmus gefunden – und eine Reihe neuer, aufregender Herausforderungen. In seinem umfassendsten Interview seit seinem Ruhestand spricht Federer über seine alten Rivalen, seine neuen Leidenschaften und das neue Gefühl der Dringlichkeit, das ihn antreibt.
Roger Federer im Interview bei GQ Germany 2024

Roger Federer ist nun seit fast zwei Jahren nicht mehr Teil der professionellen Tenniswelt. Was er den ganzen Tag über macht, das erzählte er GQ.

Das Sheats-Goldstein House in Beverly Hills ist eine von John Lautner entworfene Architekturikone. Mit einem Tennisplatz, einem Koiteich und einem Panoramablick über Los Angeles gilt die Residenz seit Jahrzehnten als ein Aushängeschild für den modernen Luxus. Obwohl der Besitzer des Hauses, Jimmy Goldstein, sich im Jahr 2016 dazu verpflichtete, das Haus eines Tages dem Los Angeles County Museum of Art zu schenken, hängen derzeit noch immer Fotos von ihm mit jeglichen Celebritys an den Wänden. Bill Clinton, Karl Lagerfeld, Drake, um nur ein paar zu nennen. In einer Ecke des Wohnzimmers stapelt sich die CD-Sammlung des Hauseigentümers, ganz oben liegen Hits wie “Pure Pacha Summer 2014” und “Club St. Tropez 2006”. In diesem Zimmer wurde auch die berühmte Szene aus “The Big Lebowski” gedreht, in der sich Jeff Bridges auf der modernistischen Couch reckt und sich dank eines besonders starken White Russian im Delirium befindet. Jetzt sitzt Roger Feder genau dort, wo Lebowski aka The Dude in jener Szene des Films saß, und genießt die Aussicht.

Federer hat den Film nicht gesehen. Aber er meint gehört zu haben, dass er ein “großer Erfolg” gewesen sei. Die Location kennt er natürlich trotzdem, er hat hier schon mal einen Werbespot für eine Champagnermarke gedreht. Eine Aussage, die typisch Roger Federer ist. In Person ist der legendäre Tennisspieler etwas größer, als man erwarten würde und seine Augen noch haselnussbrauner als auf den Fotos. Mit seinen 42 Jahren bewegt er sich immer noch mit derselben Anmut und Eleganz wie zu seiner Zeit als aktiver Tennisprofi. Dennoch stöhnen wir beide ein wenig, als wir uns von der Couch erheben. Nun ja, bei Federer ergibt es Sinn. Er hat in seinem Leben mehr als 1.500 Tennismatches bestritten und 20 Grand Slams gewonnen – ein Leben als Redakteur hingegen sollte den Körper eigentlich nicht dermaßen beanspruchen. “Gestern ging es meinem Rücken noch gut”, sagt Federer lachend.

Jacke, Todd Snyder. Hoodie, Uniqlo. Sonnenbrille, Roger Federer x Oliver Peoples.

Am Vorabend war er zum zweiten Mal bei den Oscars dabei. Das erste Mal war er im Jahr 2016 bei der Preisverleihung, “als Leo für ‘The Revenant – Der Rückkehrer’ gewann” – eine weitere Bemerkung, die typisch Federer ist. Schon vor seinem letzten Match an jenem tränenreichen Septemberabend beim Laver Cup 2022 hatte Federer ein für einen Profisportler ungewöhnlich großes Interesse an der Welt außerhalb des Sports. “Ich kenne einige Spieler, die den ganzen Tag nur im Hotel, im Club, im Hotel, im Club verbringen und dann Zimmerservice bestellen und dabei noch Sport im Fernsehen schauen. Und das war's”, sagt Federer. Das ist und war niemals seine Art. Er ist ein geselliger Typ und ein neugieriger noch dazu. Seitdem er sich aus der Tenniswelt zurückgezogen hat, was zum Teil aufgrund der Verletzung an seinem linken Knie und den darauffolgenden Operationen geschah, verbringt er seine Tage nun auf Reisen mit seiner Familie. Aus seiner Schweizer Heimat zieht es die Familie Federer des öfteren nach Tokio, Thailand und Südafrika. Zudem hat er sich als Designer versucht, zuletzt in Kooperation mit der kalifornischen Brillenmarke Oliver Peoples. Das Resultat dieser kreativen Exkursion ist diese Woche auf den Markt gekommen, es handelt sich um eine Sonnenbrillenkollektion.

Nach nun anderthalb Jahren im neuen Lebensabschnitt reflektiert er diese Zeit. Seine Energie ist dieselbe wie früher, ein einzigartiger Mix aus Leichtigkeit und höchster Konzentration, die ihm als Spieler stets geholfen hatte. “Sich gedanklich nur innerhalb der kleinen Tenniswelt zu bewegen, reicht nicht aus”, sagt Federer. “Für mich ist es äußerst reizvoll, auszugehen, Leute zu treffen und einfach andere Dinge zu tun. Und das, obwohl ich mich anfangs vor roten Teppichen, Small Talk und all diesen Dingen gesträubt habe.”

Roger Federer im GQ-Interview über sein Leben nach dem Profisport

Warum mochten Sie diese Dinge nicht?

Worüber soll ich reden? Warum ist man überhaupt da? Warum muss ich das anziehen? Wenn man als Teenager so etwas macht, stellt man sich diese Fragen. Man denkt sich: “Mein Gott, ich kann mit der Krawatte nicht atmen.” Also beschloss ich: Ich muss öfter Anzüge tragen, damit ich mich in ihnen wohlfühle. Ich hatte mir bewusst vorgenommen, häufiger eine Krawatte zu tragen, egal ob mit einem Sakko, einer Jeans oder einem Cardigan. Damit ich mich daran gewöhnen konnte, diese Art von Kleidung zu tragen.

Das ist eine sehr sportliche Antwort. Ganz unter dem Motto :“Ich trainiere es mir an”.

In gewisser Weise habe ich es mir wirklich antrainiert. Es ist so wahr, denn wenn man nur alle paar Monate mal [eine Krawatte] trägt, beispielsweise nur für Preisverleihungen, dann flippt man buchstäblich aus, weil man sich die ganze Zeit so unwohl fühlt und es einen nervös macht. Also sagte ich mir: Ich muss das richtige Mindset dafür entwickeln.

Wie ist der Ruhestand?

Ich bin richtig erleichtert, falls das Sinn ergibt.

Inwiefern erleichtert?

Die letzten Jahre waren wegen meines Knies echt hart. Ich konnte spüren, wie das Ende näher rückte. Sobald dann alles aber vorbei und man offiziell im Ruhestand ist, kann man tief durchatmen und man denkt sich: “Wow, okay, das war gut.”

Also war das Hauptgefühl nicht Traurigkeit oder Kummer, sondern Zufriedenheit?

Im Moment selbst war es eher Leiden. Weil ich wusste, dass es schwer werden würde. Der wirkliche Moment vom Aufhören in London und alles zuvor, was dahin führte. Und dann ist man ein wenig später natürlich nostalgisch. Wenn Leute einem Highlights der Karriere zeigen oder einen Sachen fragen, wie “Wie hast du dich in dem Moment gefühlt?” Man denkt sich dann nur: “Oh mein Gott, muss ich das wirklich noch einmal sehen?”

Sie haben an dem Abend geweint.

Ja, es war hochemotional. Etwas, das immer ein Teil von dir war, fällt weg und wird für immer weg sein. Und du wirst es nie wiederhaben, so sehr du es vielleicht auch zurückhaben möchtest. Der Zug ist abgefahren. Und das ist in Ordnung und ich möchte es auch so haben. Aber natürlich kann man nicht von einem Tag auf den nächsten damit abschließen und einfach sagen: “Okay, kein Problem, das war es jetzt.”

Haben Sie das Gefühl, dass Sie letztendlich das Ende bekommen haben, das Sie wollten?

Auf jeden Fall. Sogar noch mehr. Denn ich hatte immer Angst vor dem Moment, in dem das Match vorbei ist, die Hände geschüttelt werden und der Gegner dann irgendwie weggeht. Man ist ganz alleine auf dem Platz, ein paar Freunde sitzen auf der Tribüne, aber niemand weiß vorher, ob man in der ersten Runde verliert oder ob man es bis ins Finale schafft oder was auch immer. Es kann auch nicht jeder dabei sein. Nicht jeder weiß an diesem Tag, dass es der letzte sein wird. Am Ende sagt man dann okay, das war's und bumm, es ist vorbei. Die Show geht trotzdem weiter, das nächste Match beginnt.

Die nächsten zwei Spieler:innen kommen auf den Platz und fangen an, einen Tennisball hin und her zu schlagen.

Es ist keine große Sache, aber the show goes on. Und ich hatte einfach immer Angst davor, dass ich alleine auf dem Platz stehen würde. Alles, was ich mir erhofft hatte, war, von einem Team und meinen engsten Freunden umgeben zu sein, um dann der Welt sagen zu können: “Heute ist der Tag gekommen.” Ich erinnere mich ehrlich gesagt nicht mehr an das Datum, aber an diesem Freitagabend konnte ich einfach sagen, dass ich spielen werde und jeder kann mir zuschauen, sofern man es möchte. Danach ging der Laver Cup am Samstag und Sonntag noch weiter und ich konnte mich einfach zurücklehnen, entspannen und es genießen. Ich war immer noch ein Teil des Teams, es fühlte sich in dem Moment wie ein Netz an, das mich auffing.

Haben Sie sich manchmal den Ruhestand schon vorgestellt, während Sie noch spielten?

Ja, einhundert Prozent. Wenn man im Auto sitzt, auf dem Weg zum Training oder so, erwischt man sich dabei, wie man aus dem Fenster schaut und denkt: “Okay, wie wird der Ruhestand sein?” Oder: “Wo werde ich mich zur Ruhe setzen? Wie werde ich mich zur Ruhe setzen? Wie lange kann ich noch spielen?” Diese Fragen gehen einem natürlich durch den Kopf, wenn man über sein Leben und die eigenen Kinder nachdenkt und darüber, wohin die Reise gehen wird. Aber ich glaube, das geht jedem Spieler so. Ich wurde, seitdem ich 2009 die French Open gewann und Sampras' Rekord [von 14 Grand Slams] ebenfalls erreichte, gefragt, wie und wann ich aufhören möchte. Die Leute fragten: “Was kann man denn überhaupt noch erreichen?”, und ich antwortete: “Ja, gute Frage. Ich weiß es nicht. Aber ich liebe es zu spielen, und wir werden sehen, wohin es mich führt.”

Ein ganzes Leben lang identifiziert man sich auf eine bestimmte Art: ‘Ich bin ein professioneller Tennisspieler, das ist meine Identität.’ Und dann, eines Tages, ist man es einfach nicht mehr.

Das ist man nicht. Man ist “im Ruhestand”. Leute fragen einen, was man jetzt macht. Ich weiß es aber nicht, es ist schon komisch.

Look, Prada. Schuhe (privat)

Gab es einen Moment der Identitätskrise, wo Sie sich dachten: “Moment, wer bin ich eigentlich?”

Tennis war meine Identität. Aber es war nicht das einzige, mit dem ich mich täglich beschäftigt habe. Ich meine, die meiste Zeit bin ich ein Vater, ein Ehemann und auch ein Sohn. Tennisspieler zu sein war mein Hobby, dann wurde es zu meinem Beruf. Aber ich habe mich immer bemüht, mich nicht bloß als Tennisspieler zu identifizieren. Als Tennis dann wegfiel, hatte ich immer noch all die anderen Dinge. Und ich glaube, dass diese Einstellung während meiner gesamten Karriere eine meiner Stärken war. Ich wusste schon immer, dass es morgen enden könnte, durch einen Unfall oder was auch immer und dass ich in der Lage sein müsste, auch ohne die Spiele leben zu können. (Auch interessant: Paralympics-Champion Martin Schulz – “Der Parasport gehört viel mehr in die Mitte der Gesellschaft”)

Das ist etwas, das man sich einredet, während man noch spielt. Aber eines Tages wacht man auf und es ist Realität.

Ich fand es ziemlich einfach und nicht zu komplex. Tatsächlich habe ich auch heute eigentlich nicht genug Zeit am Tag. Und ich liebe es, von Menschen und Freunden umgeben zu sein, ich bin sehr sozial. Es hat mir geholfen, dass ich nie alleine in einem Raum bin. Ich hatte, seitdem ich im Ruhestand bin, vielleicht zwei Nachmittage, an denen ich alleine zu Hause war. Meine Kinder waren in der Schule oder hatten irgendetwas anderes gemacht und meine Frau hatte an einem Projekt gearbeitet. Also saß ich dann zu Hause und fragte mich: “Okay, was soll ich tun? Ich weiß es nicht.” Das war schon unangenehm genug. Also lass uns diese Momente nicht haben. Lass uns das nicht mehr tun. Nicht noch einmal.

Hat der Ruhestand Ihr Verständnis von Zeit in irgendeiner Weise verändert?

Gute Frage. Ich fühle … was fühle ich? Ich habe das Gefühl, dass jede Minute jetzt noch mehr zählt als früher. Ich weiß nicht, ob es vielleicht eine Sache des Alters ist. Wenn man älter wird, hat man das Gefühl, dass einem die Zeit davonläuft, und man hat eigentlich immer noch so viel zu erreichen, so viel zu tun.

Sie haben in letzter Zeit Design für sich entdeckt, sie entwerfen Kleidung, Schuhe und jetzt auch Sonnenbrillen. Was haben Sie davon?

Ich denke, wenn man die Möglichkeit hat, mit großartigen Menschen und kreativen Köpfen zusammenzuarbeiten, kommt man auf die Idee, wie cool es beispielsweise wäre, eine eigene Sonnenbrille zu entwerfen. Und man fragt sich, mit wem würde man das tun? Ich dachte mir: “Oliver Peoples, wie cool wäre das denn?” Kalifornien ist so weit von der Schweiz entfernt, es ist eine ganz andere Welt. Und nachdem ich circa 80 Prozent meines Lebens in sommerlichen Regionen verbracht habe, da wir mit der Tournee das ganze Jahr über der Sonne hinterherjagen, wollte ich mehr Sonnenbrillen tragen. Wer weiß, was der ausschlaggebende Faktor war, aber ich dachte mir einfach, dass es etwas sehr, sehr Spaßiges sein könnte.

Wie involviert waren Sie beim Design der Brillen tatsächlich?

Dieses Mal mit Oliver Peoples war es so, dass sie die Ideen skizziert hatten und ich meine Meinung eingebracht hatte. Und dann wirft man alles in einen Topf, kocht es auf und rührt ein wenig herum. Man fragt sich: “Was soll die Inspiration sein? Wollen wir uns auf Tennis beziehen, oder halten wir uns davon einfach komplett fern?” Aber Oliver Peoples dachte, es wäre cool, Tennis-Referenzen einzubauen. Mit den Farben, die an die verschiedenen Materialien der Tennisplätze erinnern, und mit dem Logo. Ich empfand das als eine wirklich tolle Idee. Und ich bin so zufrieden mit den Ergebnissen. Ehrlich, ich finde, sie sehen supergut aus.

Sie waren nicht immer an der Mode interessiert. Wie kam es schlussendlich dazu?

Auf jeden Fall durch das Reisen. Meine Frau, Mirka, ist drei Jahre älter und sie war schon immer so elegant und hat sich sehr für Autos, Uhren und Mode interessiert. Das waren ihre Hobbys. Und sie war immer sehr kontaktfreudig und reiste an viele Orte. Ich glaube, sie hat mich dazu gebracht, in Museen zu gehen, Leute zu treffen, offener zu sein, sozial stärker zu sein. Wir haben uns kennengelernt, als ich 18 Jahre alt war, bei den Olympischen Spielen in Sydney im Jahr 2000. Das war es auch, was mich in die Modewelt gebracht hat. Wenn man in all den verschiedenen Städten ist, kann man nicht jeden Tag nur Jeans, Sneaker und ein oversized T-Shirt tragen. Tut mir leid, aber es ist so. Und als ich mich dann zu einem erfolgreicheren Tennisspieler weiterentwickelte, musste ich auch auf den roten Teppich. Da braucht man einen Anzug und man kann nicht jedes Mal dieselbe Krawatte tragen. (Lesen Sie auch: Aaron Taylor-Johnson über seine Kampagne für Acqua di Giò)

Die professionelle Tenniswelt vermisst Roger Federer nicht wirklich

Jacke, Tod's. Sweater und Hose, Theory. Sonnenbrille, Roger Federer x Oliver Peoples.

Sie arbeiten gerade an einem Dokumentarfilm über die letzten Tage Ihrer Spielerkarriere, den Sie zusammen mit den Filmemachern Joe Sabia und Asif Kapadia auf Amazon veröffentlichen werden. Wieso haben Sie sich für das Projekt entschieden?

Nun, um ehrlich zu sein, habe ich das nicht. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Das war etwas, das ich nicht tun wollte. Es ist wie das Schreiben eines Buches. Ich wollte kein Buch schreiben. Ich war einfach noch nicht bereit, meine Geschichte niederzuschreiben. Also war das nie die Idee. Als dann das Ende näher rückte und der Laver Cup fest geplant war, kam eine Frage auf: Wollen wir das dokumentieren? Vielleicht eher nur für mich, für meine Kinder, Freunde, Trainer und mein Team. Wie wäre es, wenn wir es wie einen Schulterblick filmen würden? Dann hätten wir wenigsten etwas, denn es gibt bei mir so gut wie gar keine Einblicke hinter die Kulissen. Einfach, weil ich nie jemanden dabei haben wollte. Dann kamen sie und ich sagte: “Also, ihr wollt wahrscheinlich vor, während und nach dem Spiel drehen.” Und Joe sagte mir dann: “Hey, ich habe so viel Filmmaterial und es wäre eine Verschwendung, das nicht zu teilen. Kann ich dir eine einstündige Doku pitchen?” Und ich sagte: “Okay, klar. Aber darum geht es hier nicht. Aber ja, klar, zeig's mir.” Und es ist wirklich superemotional und auch echt schwer anzuschauen. Als wir es zusammen schauten, waren wir alle perplex und begeistert. Am Ende haben wir dann ein anderthalb-Stunden-Ding daraus gemacht, das die letzten 12 Tage meiner Karriere zeigt. Ich habe neulich ein Screening gesehen, das war Hardcore. Ich habe circa sechsmal geweint.

Warum haben Sie geweint?

Ich glaube, es gibt einfach so viele Momente, in denen man das Leiden spürt, von dem ich gesprochen habe. Man sieht das Ende kommen und dann kommt irgendwann auch wirklich der Endpunkt, aber es ist wunderschön. Für mich ist es emotional, das zu sehen, es ist hart. Ich frage mich, was die Zuschauer denken werden. Aber ich finde, es ist sehr schön und glaube, es wird vielleicht für andere Athlet:innen gut sein, zu sehen, wie ich aufgehört habe. (GQ empfiehlt: Mark Ruffalo ist ein Bösewicht mit Moral – “Der Gedanke, nicht als der Gute gesehen zu werden, war beängstigend”)

Wenn Sie von “Leiden” sprechen, meinen Sie mentales Leiden, nicht physisches, richtig?

Ja, wir sprechen von mentalem Leiden, ein emotionales. Aber es fährt einem ebenso buchstäblich auch durch den Körper. Es ist eine Ganzkörper-Erfahrung.

Hatten Sie so ein Gefühl schon einmal zuvor durchlebt?

Bei Grand Slams. Der eine Moment, der dem nahekommt, war vielleicht die Niederlage in Wimbledon [2021], mein letztes Match gegen [Hubert] Hurkacz in drei Sätzen. Sechs zu eins im dritten Satz. Und ich kam vom Platz und mein Knie tat so schlimm weh, dass ich nicht einmal mehr richtig spielen konnte. Und ich wusste, dass dies vielleicht mein letztes Wimbledon war. Ich versuchte mich auf die Pressekonferenz vorzubereiten, mir vorzustellen, was sie mich fragen konnten. Es musste etwas mit dem Knie zu tun haben. In meinem Kopf drehte sich alles und ich realisierte: “Oh mein Gott, ich habe gerade Wimbledon verloren.” Ich habe alles gegeben. Eigentlich habe ich wirklich gut gespielt und es trotz alldem weit geschafft. Das ganze Erlebnis war eine völlige außerkörperliche Erfahrung. Alles passierte so, wie ich es absolut nicht erwartet hatte und es nicht passieren sollte. Das Match, die Pressekonferenz, meine Gefühle, die Angst – einfach alles. Es war Hardcore. Vielleicht kam das gefühlstechnisch an das Ende meiner Karriere heran.

Vermissen Sie Tennis?

Tatsächlich nicht wirklich.

Wirklich nicht?

Ja, diese Frage bekomme ich oft gestellt, und ich vermisse es nicht. Ich vermisse es wirklich nicht. Ich empfinde eine innere Ruhe. Ich denke, das liegt auch daran, dass ich weiß, dass mein Knie, mein Körper und mein Geist es mir nicht erlauben, da draußen zu sein. Denke ich mir manchmal: “Oh, diesen Schlag hätte ich getroffen?” Ja, schon. Vielleicht könnte ich das noch. Aber ich glaube, die Zitrone ist ausgepresst. Ich habe alles gegeben. Ich liebe es aber, mit meinen Kindern Tennis zu spielen. Ich habe kürzlich mit meiner Frau zum ersten Mal in meinem Leben einen Platz reserviert. Das war vor einem oder zwei Monaten. Wir haben auf dem Feld neben unseren Kindern gespielt, die gerade ein Training hatten und es hat einfach so viel Spaß gemacht. Ich liebe es, Tennis zu spielen, deshalb hatte ich mich immer gefragt, wie es sein würde, wenn ich es nicht mehr professionell spiele und dann privat auf dem Tennisplatz stehe und ich mich nicht mehr verbessern muss. Wen kümmert es, wenn ich eine Vorhand verfehle. Wen kümmert es, ob ich besser werde oder nicht?

Heute ist es Federer wichtig, dem Tennissport in den Medien eine größere Bedeutung zu geben

Jacke, Tod's. Sweater und Hose, Theory. Sonnenbrille, Roger Federer x Oliver Peoples. Schuhe, Crockett & Jones.

Schaffen Sie es immer noch, eine großartige Leistung auf dem Platz hinzulegen?

Ja. Es ist recht lustig. Ich war vor ein paar Tagen in Stanford und habe mir deren Mannschaft beim Spiel angeschaut, weil Tonys [Tony Godsick, Federers langjähriger Manager – Anm. d. Red.] Sohn im ersten Semester in Stanford ist. Ich sagte zu Tonys Sohn: “Schau dir das an, ich glaube, du solltest das auch so machen.” Ich habe es schnell erklärt und habe mir einen Schläger genommen. Ich war leger gekleidet und habe einfach eine Vorhand geschlagen. Es ist einfach da, es geht nicht weg. Es ist wie mit dem Fahrradfahren. Dann haben wir ein paar Übungen gemacht und ich habe die verschiedenen Arten von Vorhänden erklärt. Und jede, die ich geschlagen habe, war perfekt. Und ich dachte mir nur: “Mein Gott, ich hab's noch drauf.”

Schauen Sie auch noch Tennis?

Ich schaue mir die Highlights an. Ein ganzes Spiel zu schauen ist für mich schwer, weil ich mit den Kindern beschäftigt und immer unterwegs bin. Letztes Jahr habe ich nur ein ganzes Spiel gesehen. Aber die Highlights schaue ich mir an und ich checke jeden Tag die Spielstände. Es überrascht mich tatsächlich. Ich dachte, ich würde mich komplett herausziehen und mich nicht mehr sonderlich dafür interessieren. Aber ich kenne wohl noch zu viele Spieler und möchte sehen, wie sie sich schlagen.

Jedes Mal, wenn Rafael Nadal oder Novak Djokovic spielen, denken die Leute natürlich an Sie aufgrund der langen Rivalität zwischen Ihnen und den beiden. Man fragt sich, wie die Karrieren von ihnen im Vergleich zu Ihrer enden werden. Denken Sie auch daran? Schenken Sie ihnen besondere Aufmerksamkeit?

Offensichtlich bin ich mir dessen bewusst, wenn sie im Finale stehen oder wenn Rafa zurückkommt oder wenn Novak einen weiteren Rekord bricht. Aber es ist alles gut. Ich werde keinen meiner Pläne jemals auf Eis legen, um eines ihrer Spiele unbedingt zu sehen. Aber natürlich habe ich die Situation verfolgt und ich finde es toll zu sehen, dass vor allem Novak immer stärker wird. Es geht immer weiter. Und für Rafa tut es mir selbstverständlich leid, dass er nicht annähernd so viel oder gar nicht spielen konnte, wie er es wollte. Ich hoffe, dass sich das im Sommer ändert und er so spielen kann, wie er es sich wünscht. Ich weiß, dass er sich aus Indian Wells und Doha und alldem herausgezogen hat. Aber ich bin zuversichtlich, dass er wieder auf den Zug aufspringen und mitfahren kann.

Das sind die Typen, mit denen Sie jahrelang den Platz geteilt haben. Und dann schalten Sie den Fernseher ein und sehen, wie sie im Gegensatz zu Ihnen immer noch spielen. Wie fühlt sich das an?

Es fühlt sich gut an. Als ich in London bei der Pressekonferenz neben Andy [Murray], Novak, Rafa und [Björn] Borg und allen, die da waren, offiziell aufhörte, sagte ich: “Es ist passend, dass ich der Erste bin, der geht.” Ich hatte meine Momente ohne sie auf Tour und jetzt ist es deren Zeit, ohne mich auf Tour zu gehen. Es hätte sich falsch angefühlt, wenn Murray, der fast wegen seiner Hüfte aufhören musste oder Rafa mit seinen Knien zuerst aufgehört hätte. Deshalb bin ich froh, dass ich der erste war. Und ich wünsche mir, dass sie so lange weitermachen können, wie ich es tat. (Vielleicht interessiert Sie auch: Giant Rooks Sänger Fred Rabe im Interview – “Ich fühle mich wirklich nicht wie ein Rockstar”)

Fühlt der Wettkämpfer in Ihnen dasselbe?

Oh, der ist nicht mehr existent.

Wirklich?

Ja, total. Vollkommen. Denn ich bin stolz auf all das, was ich erreicht habe und ich werde es nie vergessen, wie ich Sampras' Rekord gebrochen habe. Denn er hatte das ganz cool aufgenommen. Beziehungsweise so cool, wie man in der Situation nur sein kann. Und das werde ich wirklich nie vergessen. Ich glaube, man nimmt eine andere Rolle ein, sobald man sich zurückzieht. Am Ende ist man sehr zufrieden mit seiner Rolle und unterstützt den Sport als Ganzes. Wenn also etwas Neues erreicht wird, sehe ich es in einem anderen Kontext: Wir konkurrieren nicht auf der Tennisebene, sondern wir konkurrieren in der Sphäre der kompletten Sportwelt, indem wir Tennis eine immer größere Bühne geben. Wir kämpfen um Netflix oder Amazon oder was auch immer. Um Zuschauer. (GQ empfiehlt: Wie Willem Dafoe zu einer Ikone wurde – “Kunst und Arbeit sind ein und dasselbe”)

Als Roger Federer das erste Mal verlor, machte ihn das beim Publikum beliebter

Rollkragenpullover, Theory. Shorts, Uniqlo. Sneaker, On.

Gibt es jüngere Spieler, deren Karrieren Sie besondere Aufmerksamkeit schenken. Oder jemanden, bei dem Sie Ähnlichkeiten zu Ihnen selbst erkennen?

Ich meine, offensichtlich fehlen uns die Einhänder. Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, aber zum ersten Mal in der Geschichte …

Es gibt derzeit keinen Spieler in den Top 10, der eine einhändige Rückhand spielt.

Das ist ein echter Dolchstoß.

Was halten Sie davon?

Das fühle ich richtig. Es fühlt sich persönlich an. Das hat mir nicht gefallen. Aber gleichzeitig macht es die Einhänder – Sampras, Rod Laver, mich – zu etwas Besonderem. Wir haben die Fackel oder die Fahne oder was auch immer so lange getragen, wie wir es konnten. Ich sehe dementsprechend gerne Spieler mit einhändiger Rückhand, wie Stan [Wawrinka] und [Richard] Gasquet und [Stefanos] Tsitsipas. Dominic Thiem hat eine wunderbare Rückhand, Grigor [Dimitrov], ein guter Freund. Das liebe ich. Und ich mag Charaktere, ich mag explosive, athletische Spieler. Ich wünsche mir bei dem, was wir heute sehen, ein bisschen mehr Abwechslung. Auch ein bisschen mehr Hin- und Herlaufen am Netz, nicht nur von Seite zu Seite. Wir werden sehen, wohin sich das Spiel entwickeln wird. Aber das Problem ist natürlich, dass, wenn viele ähnliche Spieler gegeneinander spielen, viele Punkte auf ähnliche Art und Weise gemacht werden. Und mein Ziel auf der Tour war es immer, das Gegenteil zu schaffen. Mein Gegner möchte, dass ich jeden Punkt auf eine ähnliche Weise spiele. Was er nicht will, ist Variation und Abwechslung meinerseits. Zwei Spielern dabei zuzusehen, wie sie 20 gleiche Punkte machen, immer wieder aufs Neue … Leute kommt schon. Es kann schon interessant sein, aber es ist wie ein Armdrücken. Ich sage gerne: “Lassen wir das Armdrücken sein. Lasst uns ein anderes Spiel spielen.”

Sie sprechen über die einhändige Rückhand, als ob Sie glauben, sie würde nicht mehr zurückkommen.

Ich denke, es wird sie immer noch geben, sie wird wiederkommen, sie wird da sein. Aber ich habe meinen vier Kindern eine beidhändige Rückhand beigebracht.

Ach was!

Ich bin ein schlechtes Beispiel. Und ich bin auch ein schlechter Hüter des Einhänders. Aber vielleicht können wir das noch ändern.

Gibt es derzeit einen jüngeren Spieler, bei dem Sie denken, er könnte eines Tages so viel gewinnen, wie Sie es taten?

Ich möchte diese Spieler nicht unter Druck setzen. Ehrlich gesagt war es nie mein Ziel, 20 [große Siege] zu schaffen, auch nicht Rafas oder Novaks. Natürlich gibt es die Spieler, von denen man glaubt, sie könnten mehrere Grand Slams gewinnen. Irgendjemand muss die Grand Slams immerhin gewinnen. Und natürlich werden sie das auf eine schöne Weise und perfekt machen und sie werden diejenigen sein, die die Spiele vorantreiben und die Superstars des Sports sein. Bei einigen sieht man das bereits: [Carlos] Alcaraz, [Jannik] Sinner und so weiter. Es gibt derzeit eine große Spannung bezüglich der Frage, wer der nächste wirklich große Spieler sein wird. Ich denke, wir werden diesbezüglich in den nächsten zwei bis drei Jahren einen guten Eindruck bekommen. Es gibt im Moment gute Spieler, aber ich denke, sie werden ihr Spiel noch neu kalibrieren, um herauszufinden, wie sie die Konkurrenz auf deren Spezialgebiet schlagen können.

Ihre Art zu spielen wird oft als “schön” und “mühelos” beschrieben. Es ist ein offensichtliches Kompliment, doch wie fühlen Sie sich dabei, dass Sie so in Erinnerung bleiben werden?

Heute sehe ich es als großes Kompliment. Als ich noch spielte, hatte ich meine Probleme damit. Ich hatte das Gefühl, die Leute würden nicht erkennen, was für ein Kämpfer und Gewinner ich bin. Denn wenn man kein Kämpfer ist und sich nicht ins Zeug legt, dann kann man nicht das erreichen, das ich erreicht habe. Das geht nicht mühelos. Ich glaube, man kann es nur mühelos aussehen lassen, wenn man unglaublich hart an der Technik gearbeitet hat. Deshalb hatte ich – besonders am Anfang – immer mit dem Gedanken zu kämpfen: Sehen sie denn nicht die Leidenschaft und die Anstrengung und alles, was ich da reingesteckt habe? Denn wenn ich gewonnen habe, hieß es: “Oh, es ist so einfach”. Und wenn ich verloren habe, hieß es fast schon: “Ich wünschte, er hätte sich mehr Mühe gegeben.” Und das war anfangs wirklich schwer zu akzeptieren. Ich habe mir darüber den Kopf zerbrochen. Irgendwann habe ich mich dann in meiner Haut richtig wohlgefühlt und wusste, dass ich alles gegeben habe. Deshalb konnte ich, wenn ich ein Spiel verlor, fünf Minuten später damit klarkommen. Ich habe alles gegeben und weiter geht's. (GQ empfiehlt: Hailey Bieber – “Ich glaube, ich bin genau da, wo ich sein sollte”)

War die Leichtigkeit ein Nebenprodukt Ihres Stils oder etwas, das Sie mit Absicht gemacht haben?

Beim Spielen mit einer gewissen Leichtigkeit – sagen wir mal direkt nach dem Aufschlag – wenn man in der Lage ist, sich dann zu entspannen oder sich beim Bewegen entspannt, oder sobald der Punkt vorbei ist, dann findet man fast schon einen Moment der Ruhe. Ich glaube, ich habe das instinktiv gemacht. Ich dachte auch, es würde mir zusätzliche Energie einsparen, die für das Ende eines Matches oder eines Turniers noch gebrauchen würde. Oder dass ich so noch ein paar Jahre länger spielen könnte. Ich machte es aus diesem Gedanken heraus: Wenn ich die ganze Zeit angespannt und verkrampft bin, werde ich in kürzester Zeit erschöpft sein. Wenn ich anderen Spielern zuschaue und merke, dass sie die ganze Zeit verkrampft sind, denke ich mir nur: “Mein Gott. Ich respektiere das, denn ich könnte das nicht.”

Darf ich Ihnen etwas gestehen? Sie und ich sind ungefähr gleich alt, und ich bin ein Tennisfan, und ich habe Sie immer spielen sehen. Aber ich glaube, ich habe Sie in der zweiten Hälfte Ihrer Karriere mehr angefeuert – als die Menschlichkeit und die Möglichkeit, dass Sie verlieren, offensichtlicher waren. Können Sie das nachvollziehen?

Absolut. Ich war mir dessen bis 2008 nicht richtig bewusst. Oder vielleicht gab es schon vorher einen Moment. Ich glaube 2005, als ich bei den Australian Open gegen [Marat] Safin verlor, da sagte ich: “Ich habe ein Monster erschaffen.” Wenn ich einen Satz verliere, sagen die Leute: “Oh, mein Gott, Roger hat einen Satz verloren.” Oder wenn ich im Halbfinale mit einem Matchball gegen Safin verliere. Jeder ist geschockt. Können Sie das glauben? Ich denke mir nur, was soll das bitte für ein Schock sein? Es ist normal, gegen einen unglaublichen Spieler zu verlieren.

Als ich 2008 gegen Rafa [in Wimbledon, was viele für das größte Match aller Zeiten halten] verloren habe, war das ein ganz spezieller Moment. Ich war natürlich am Boden zerstört. Aber als ich dann einen Monat später in den USA war, sprachen die Leute immer noch darüber. Jemand meinte zu mir: “Das war etwas Besonderes. Du hast halt verloren. Aber mein Gott, man konnte die menschliche Seite von dir sehen. Dich auf der Verliererseite zu sehen, war etwas anderes und besonders.” Und das ging tagelang mit anderen Personen genauso weiter, bis mir klar wurde, dass in dem Moment etwas Ausschlaggebendes passiert war.

Das war die Geburt von Federer 2.0. Derjenige, der tatsächlich auch mal verliert. Es kann passieren, es ist Teil des Lebens. Und dann kamen die Kinder auf die Welt und als Elternteil ist man für die Menschen noch nahbarer. Es fällt ihnen einfacher, sich mit einem zu identifizieren.

Haben Sie bemerkt, dass sich die Zuschauer mehr zu Ihnen hingezogen fühlten, als Sie nicht mehr der unschlagbare Siegertyp waren?

Ich glaube, mein Spiel hat etwas, das bei den Leuten gut ankommt. Sie haben das Gefühl, dass vielleicht etwas Besonderes passiert, wenn sie mir beim Spielen zusehen. Ich spiele auf eine andere Art und Weise. Vielleicht war ich die Brücke von der älteren Generation, der einhändigen Rückhand, die mühelos gespielt wurde, wie es damals, Ende der 90er-Jahre üblich war, zu dem neuen, kraftvollen, superschnellen, ruppigen Spiel, das aufkam. Ich war da einfach der Typ der alten Schule. Also denke ich, dass ich wahrscheinlich aus sentimentalen Gründen von vielen bevorzugt wurde.

Der Stress als Elternteil ist für Federer vergleichbar zu dem eines Grand Slams

Hemd, Theory. Hose, Uniqlo. Sneaker, On. Sonnenbrille, Roger Federer x Oliver Peoples.

Sie haben Ihre Kinder erwähnt. Sie haben zwei Zwillingsjungen, die neun Jahre alt sind und zwei Zwillingsmädchen, die 14 Jahre alt sind. Sind sie ernsthafte Tennisspieler?

Nicht ernsthaft, aber wir achten darauf, dass sie spielen.

Und warum?

Ich möchte nicht, dass meine Kinder die einzigen Kinder in meinem Umfeld sind, die nicht spielen. Und offensichtlich lebe ich in einer Tennis-Bubble. Andernfalls wären sie wirklich die einzigen Kinder, die nicht spielen, während es von den anderen Kindern sogar die Leidenschaft ist. Deshalb sagte ich zu den Mädchen, die anfangs nicht sonderlich begeistert waren: “Leute, ihr müsst wenigstens ein bisschen spielen.” Mittlerweile spielen alle vier. (Kennen Sie schon? Gael García Bernal im Interview über seine Karriere – “Ich spiele eine andere Person, um ich selbst sein zu können”)

Ihre Eltern haben Sie nicht zum Tennis spielen gezwungen. Was genau ist also ihr Erziehungsansatz?

Ich gebe mir Mühe, mehr der Spielleiter als der Trainer zu sein. Ich habe ihnen sogar gesagt, dass ich nicht ihr Trainer bin. Wenn ich ihnen helfen kann, ist das großartig. Und wenn sie mich nicht da draußen haben wollen, ist das auch in Ordnung. Aber manchmal kann ich mich nicht beherrschen, wie in Stanford. Ich komme dann dazwischen und sage: “Ich will dir nur schnell ein paar grundlegende Dinge beibringen.”

Wissen Ihre Kinder wie der Rest der Welt Sie sieht und von Ihren Erfolgen?

Nun, jetzt viel mehr als früher. Als sie jünger waren, vor allem bei den Mädchen, habe ich ihnen weder von meiner Platzierung noch von meinen Erfolgen erzählt. Selbst wenn ich auf Platz 1 gerankt war. Sie hatten mir häufig Fragen über andere Spieler gestellt: “Wie gut ist Stan?” Er ist natürlich unglaublich gut. Ich meine, er ist ein legendärer Spieler und fantastisch. “Was ist mit Rafa?” Ja, auch er ist supergut. Und dann fragten Sie: “Was ist mit dir?” Ich finde, ich bin ganz okay. Ich hatte es wirklich heruntergespielt.

Aber jetzt kann ich es natürlich nicht mehr tun. Mittlerweile kommen ihre Freunde und sagen ihnen: “Oh, dein Vater hat dies oder das gemacht, wusstet ihr das?” Und manchmal haben sie mich auch schon direkt gefragt. Ich spreche jetzt offener und ehrlicher über meine Leistungen und Erfahrungen. Und ich bin dann eher der Geschichtenerzähler mit ihnen.

Eine Karriere durchläuft immer dieselben Stadien. Der Aufstieg, dann die ambitionierte Phase und schlussendlich der Zenit. Aber es wird wenig über das Kapitel, das Sie gerade durchleben, geredet. Wie würden Sie dieses beschreiben?

Ich bin froh darüber, dass es bei mir am Ende keinen Niedergang gab. Der Abstieg kam wenn überhaupt durch meine Verletzungen, wenn man es unbedingt so betiteln möchte. Ich sehe es aber nicht als Abstieg, sondern eher als einen Kampf. Aber jetzt bin ich glücklich. Es ist ein komplett anderes Leben. Es ist vergleichbar zu damals, als ich in der Reha war. Ich mochte die Reha, weil es etwas Neues in meinem Leben war. Es war eine Herausforderung. Es war buchstäblich ein Schritt nach dem anderen und eine Bewegung nach der anderen. Und so verhält es sich jetzt auch mit meinem Leben. Ein neuer Raum, neue Projekte und viel Zeit mit meinen Kindern. Und ich mag diese Zeit. Auch wenn ich letztes Jahr in Interviews meinte, ich wäre noch nie in meinem Leben so gestresst gewesen. Damit meinte ich nicht meinen Ruhestand. Viel mehr ging es darum, dass ich mich jetzt mit meiner Frau um unsere Kinder kümmere und versuche, ihnen durch die Schule und all die damit verbundenen Anforderungen zu helfen. Und als Elternteil kümmert man sich so sehr, dass man ihnen immer helfen möchte. Ich glaube aber dennoch, dass ich ein superentspannter Typ bin.

Elternschaft ist eine andere Form von Stress, oder? Grand-Slam-Druck ist auch schlimm, klar, aber damit hatten Sie 20 Jahre Erfahrung.

Ganz genau. Und es ist ja nicht so, dass ich schon mal Vater von 14-jährigen Mädchen oder neunjährigen Jungen gewesen wäre. Für mich ist es jeden Tag aufs Neue das erste Mal.

Jacke, Todd Snyder. Hoodie, Uniqlo. Sonnenbrille, Roger Federer x Oliver Peoples.

Zach Baron ist Senior Editor für Special Projects der GQ.


PRODUCTION CREDITS:
Styling: Jim Moore
Grooming: Nathanael Röthlisberger
Tailoring: Irina Shishko
Set Design: BG Porter für Owl and the Elephant
Produktion: Annee Elliot

ADAPTATION:
Daniel Bilinski