Sternekoch Jan Hartwig über Restaurantbesuche als Veranstaltungskonzept, die Macht von Social Media und das richtige Maß an Genuss.
Er gilt als Shootingstar der deutschen Gastronomie. Jan Hartwig war von 2014 bis 2021 Küchenchef des Restaurants Atelier im Bayerischen Hof bevor er 2022 sein eigenes Restaurant “Jan” in München eröffnete. In Rekordzeit erkochte er sich hier drei Michelin-Sterne und hat sich damit endgültig an die Spitze der Sternegastronomie gearbeitet. Seit Kurzem ist der 41-Jährige außerdem ein Freund der Luxusuhrenbrand Hublot, die für ihre hochwertigen Zeitmesser bekannt ist. Wir haben ihn in seinem Restaurant in München zum Gespräch getroffen.
Sternekoch Jan Hartwig im Interview
GQ: Herr Hartwig, was unterscheidet einen Koch von einem Spitzenkoch?
Jan Hartwig: Ich glaube, diese Unterscheidung trifft nicht nur auf Köche zu, sondern auf alle Menschen, die ihre Passion gefunden haben. Wenn man sich mit etwas exorbitant ausführlich und akribisch beschäftigt, wird man irgendwann meistens zum Profi. Man muss einfach den ganzen Tag nichts anderes machen (lacht). Bei allem Talent, aller Hingabe oder dem berühmten Händchen, was man für Dinge hat oder eben nicht, darf man die Konstanz und Kontinuität am Ende nicht vergessen. Es ist alles Übung im Leben.
Das heißt Talent ist gar nicht so wichtig?
Doch Talent ist natürlich auch wichtig, aber am Ende des Tages ist das Kochen ein Handwerk, was man erlernen kann. Als ich 2017 zum ersten Mal drei Sterne erhalten habe, war mein Fisch schon gut, keine Frage. Aber jetzt, 7 Jahre später, ist mein Fisch noch viel viel besser, weil mir dazwischen weitere Hunderte von Fischen untergekommen sind, an denen ich üben konnte.
Wird man also mit den Jahren automatisch immer besser?
Grundsätzlich wird man immer besser, ja, aber man kann natürlich auch etwas aus der Übung kommen. Man spürt meist direkt, ob jemand noch jeden Tag kocht oder eben nicht.
Jan Hartwig und die Leidenschaft fürs Kochen
Wie schafft man es, seine Leidenschaft fürs Kochen nicht zu verlieren, wenn man jeden Tag hinter den Töpfen steht?
Kochen war nie mein Hobby. Mein Vater ist Koch und meine Mutter war Teil seines Betriebs. Das Essen und Trinken hat folglich schon immer eine sehr große Rolle in meinem Leben gespielt. Wir hatten immer einen reich gedeckten Tisch und meine Eltern haben super gerne Freunde zum Essen eingeladen. Ich hab mir meinen Beruf in dem Sinne nicht ausgesucht, sondern bin damit auf eine gewisse Art und Weise groß geworden. Aber natürlich habe ich mich am Ende dafür entschieden, in diese Fußstapfen zu treten und habe das seitdem auch keinen Tag bereut. Die Leidenschaft fürs Kochen wird bei mir tatsächlich jeden Tag größer, aber ich koche zuhause nicht mehr.
Warum?
Meine freie Zeit hat sich in den letzten Jahren rapide verkürzt. Wenn ich also in meinem Feierabend nicht koche, bedeutet das nicht, dass ich keine Lust mehr aufs Kochen habe, sondern mich einfach nicht schon wieder hinter den Herd stellen möchte. Außerdem ist eine Haushaltsküche für mich wie ein Teil eines Puppenhauses. Alles ist so klein (lacht). Da gibt es ein Miniatur-Spülbecken mit einem Miniatur-Herd, alles scheint irgendwie so unpraktisch.
Das verstehe ich. Das heißt, Sie gehen privat dann essen? Oder lassen Sie sich etwas liefern?
Ich bin kein Typ, der sich irgendwas liefern lässt. Ganz ehrlich, nichts schmeckt geliefert so gut wie in dem Moment, wo es gekocht wurde. Die Lieferantenpizza ist aufgeweicht, die Nudeln sind verkocht, das Fleisch des Burgers ist übergart und Soße ist pampig. Außer einer Schale Thai Curry würde ich mir nichts liefern lassen, das ist immer nur enttäuschend. Ich gehe sehr gerne essen, gerne mal ins Drei-Sterne-Restaurant, aber auch gerne zum Italiener oder in den Biergarten mit meinen Freunden. Einfach mal Gast zu sein und sich um nichts kümmern zu müssen, genieße ich in diesen Momenten sehr.
Ist der Beruf des Kochs wirklich vergleichbar mit dem eines Leistungssportlers?
Ja. Du musst sowohl körperlich als auch geistig fit sein. Jeder, der mich anschaut, sieht natürlich direkt, dass ich keine Bohnenstange und auch kein Asket bin, aber ich bin einigermaßen fit. Außerdem glaube ich an das Mantra, dass man niemals einem dünnen Koch trauen sollte (lacht). Natürlich könnte und sollte ich mehr Sport machen und ich erwische mich selbst auch immer wieder bei der Ausrede, dass ich dafür leider keine Zeit habe. Das ist natürlich Schwachsinn. Jeder Mensch hat Zeit, es geht nur um die Prioritäten im Leben. Ich versuche mich einigermaßen bewusst zu ernähren, habe aber auch meine Cheat Days, weil ich einfach ein Hedonist bin. Ich liebe das Fressen und das Saufen und auch gerne mal von beidem ein bisschen zu viel. Mir sind Leute suspekt, die nur im Salat rum picken. Das schmeckt gut, das ist gesund, aber es geht einfach nichts über einen Teller Penne mit einer tollen Soße und ein Glas Wein zu viel. Das macht das Leben doch auch lebenswert. Und schließlich nehme ich mich auch als Teil der Unterhaltungsbranche wahr. Ich biete nichts an, was per se ungesund ist, aber wenn man nach unseren 16 Gängen nach Hause geht, ist man natürlich über seinem Kalorienbedarf. Es geht auch hier, wie immer im Leben, um das richtige Gleichgewicht.
Der Restaurantbesuch als Veranstaltungskonzept
Sie sagen, Sie sind Teil der Unterhaltungsbranche. Reicht es heute noch, einfach nur ein gutes Essen anzubieten oder muss man auch automatisch eine Art Veranstaltungskonzept in den Restaurantbesuch integrieren?
Es reicht nicht, nur gutes Essen anzubieten, nein. Was die meisten nicht wissen, ist, dass der Michelin-Führer tatsächlich ausschließlich das Essen bewertet. In diese Bewertung zählen keine Weinkarte, kein Interieur, kein Setup und keine Serviceleistung dazu. Ich persönlich finde das nur bedingt richtig und korrekt. Wenn ich Essen gehen, spielt der Service für mich beispielsweise eine wichtige Rolle, weil er darüber entscheidet, wie wohl ich mich vor Ort fühle. Das Essen kann noch so gut sein, wenn ich mich nicht wohlfühle, bringt mir das leider gar nichts. Es muss immer auch eine Art Gesamtpaket sein. Wie wird man empfangen? Wie sitzt man? Wie riecht es? Was gehört zur Performance? Ich habe bei uns eingeführt, dass die Köche ihre Speisen selbst servieren und dazu auch ein paar erklärende Worte finden. Der Gast fühlt sich total abgeholt, hat sogar den Menschen, der ihm das Essen gekocht hat, direkt vor Augen und der Koch bekommt direktes Feedback. Besser geht es doch nicht?
Sie haben gerade die Michelin-Sternebewertung angesprochen. Heute findet ja, egal auf welchem Niveau, jeden Tag eine Bewertung des Essens statt. Man geht ins Restaurant und schreibt danach auf diversen Bewertungsplattformen, was man davon hält. Eine gute Idee?
Ich stelle mich grundsätzlich jeder Kritik und finde Kritik auch wichtig und richtig. Aber diese Menschen, die bei Google und Tripadvisor und wie sie alle heißen, ihre Bewertungen hinterlassen, hüllen sich natürlich schon auch immer gerne unter ihr Deckmäntelchen der Internet-Anonymität. Jeder kann alles schreiben. Und das ist nicht immer fair. Ich kenne viele Fälle, wo Menschen eine Bewertung hinterlassen haben, obwohl sie selbst gar nicht im Restaurant waren. Mich tangiert das mittlerweile nur noch peripher, weil ich weiß, dass man den Leuten sowieso nicht verbieten kann zu kritisieren, aber es hat leider mittlerweile extreme Ausmaße angenommen.
Was war die wichtigste Kritik in Ihrem bisherigen Berufsleben?
Die drei Sterne, definitiv. Sie sind natürlich eine internationale Währung, mit der man überall auf der Welt etwas anfangen kann. Die einzige wirkliche Instanz seitens der Kritiken, die internationale Reputation hat und anerkannt ist. Ansonsten gibt es auch 1-2 Kollegen, bei denen ich wirklich an ihrer sachlichen Kritik interessiert bin.
Der Trend der Essensfotografie
Essen wird heutzutage sehr gerne fotografiert. Ist das eine Chance oder eine Gefahr für die Branche? Und wie stehen Sie als Koch dazu?
Ich glaube weder noch. Mir ist es eigentlich völlig egal, ob jemand sein Essen fotografiert oder nicht. Ich ärgere mich nur manchmal ein bisschen, wenn es dann kalt ist oder nicht mehr so aussieht, wie man es sich gedacht hat. Aber letztendlich hat jeder das Recht, mit seinem gekauften Essen das zu tun, was er für richtig hält. Die Bilder, die es dann von dem eigenen Restaurant oder dem Essen gibt, helfen den Menschen natürlich extrem, einzuschätzen, was sie bekommen. Ich verstehe das, man wünscht sich ein Bild, um noch genauer einschätzen zu können, was man vorgesetzt bekommt (lacht). Auf der anderen Seite geht so natürlich auch ein bisschen der Überraschungseffekt verloren. Wenn man schon genau weiß, was einen, zumindest optisch, erwartet, ist es meiner Ansicht nach kein besonderes Erlebnis mehr in ein Sternerestaurant zu gehen. Das finde ich manchmal ein bisschen schade. Ich schaue mir vorab nie irgendwelche Bilder, noch nicht mal die Speisekarte an. Für mich ist die Vorfreude dann immer viel größer.
Das heißt, Social Media bringt eigentlich nur Nachteile für die Branche?
Das ist natürlich zu einfach gedacht. Durch die Präsenz und die visuellen Eindrücke werden die Köch:innen natürlich sehr viel schneller bekannt. Früher musste man ein Kochbuch kaufen, um den Koch und seine Gerichte näher kennenzulernen, heute reicht ein Klick bei Instagram und Co.
Führt das nicht auch zu vielen Nachahmungstätern?
Leider ja, Plagiate und Duplikate gehören zur Tagesordnung. Mir ist das aber egal, weil ich weiß, dass es nur bei mir so schmeckt, wie es zu schmecken hat.
Die Rolle von Deutschland im weltweiten Kochranking
Hinkt Deutschland Ihrer Ansicht nach beim Essen und Kochen im weltweiten Vergleich immer noch hinterher?
Nein. Wenn man sich die Aufstellung der internationalen Sterneküche ansieht, spielt Deutschland ganz vorne mit. Wir sind top ausgebildet, haben Zugriff auf die besten Produkte und sind sehr akribisch. So wie wir unsere Autos bauen, sind wir auch in der Küche. Aber natürlich hat auch jedes Land andere Ansprüche und Idealvorstellungen und das ist auch okay so. Was uns allerdings, gerade im Vergleich zu unseren südeuropäischen Nachbarn, fehlt, ist die Freude am Genuss. Die Esskultur ist nicht wirklich ausgereift, ich verstehe bis heute nicht warum.
Durch die Inflation und Co. haben immer weniger Menschen Geld, um Essen zu gehen. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Nein. Wir müssen ganz ehrlich sein. Wir befinden uns hier im Luxussegment. Die meisten Menschen können sich ein Essen in einem Sternerestaurant nicht leisten, das ist Fakt. Es gibt aber auch viele, die es können und wofür sie dann ihr Geld ausgeben, ist Prioritätensetzung. Viele Menschen haben beispielsweise auch Geld, um zwei Wochenenden aufs Oktoberfest zu gehen. Da ist man ganz schnell mehrere Hundert Euro los. Wenn man das gegen einen Abend im Sternerestaurant eintauscht, kommt es auf das Gleiche raus. Man muss sich immer überlegen, wofür man sein Geld ausgeben will. Ich bin schon als 18-Jähriger in gute Restaurants gegangen. Meine Freunde haben mich dann immer gefragt, wie ich mir das leisten kann. Ganz einfach: Ich hab mir eben nicht jedes Jahr das neue Handy oder die neuen Kopfhörer gekauft, auf Klamotten verzichtet und nicht mein ganzes Geld ins Auto gesteckt. Jeder hat seine Prioritäten. Für mich war und ist gutes Essen meine Definition von Luxus.
Sie sind ein Freund des Hauses der Luxusuhrenbrand Hublot. Welche Rolle spielt Zeit bei Ihrer Arbeit?
Zeit spielt beim Kochen eine unglaublich wichtige Rolle. Es muss immer irgendwas bis zu einem gewissen Zeitpunkt fertig sein. Darf nicht länger oder kürzer braten oder kochen oder muss raus an den Tisch. Das Kochen ist jeden Tag ein Kampf gegen die Zeit. Wie eine Art Wettbewerb. Ich liebe das.