Uhren sammeln: Der GQ-Guide für Einsteiger
Der Neugierige hält sie für naheliegend – doch der Sammler wundert sich. Es geht um die Frage nach der Anzahl: Wie viele Uhren besitzen Sie/Du denn? Selbst jene, die vielleicht eine konkrete Zahl im Hinterkopf haben, werden diese kaum teilen. George Bamford, britischer Customizer von hochwertigen Uhren und selber ein „Collector at Large“, vergleicht stattdessen seinen Weg mit dem von Alice im Wunderland, die einem Kaninchen in dessen Bau folgt und dadurch immer tiefer und weiter in unbekannte Welten vordringt. Ein deutscher Sammler – der allerhöchsten Wert darauf legt, dass seine vielen Uhren mit Ewiger-Kalender-Funktion auch im Tresor stets das korrekte Datum anzeigen, und die dort deshalb auf unzähligen Uhrenbewegern lagern – sagt wiederum selbstbewusst: „Ich habe FAST alle.“
Beide Beispiele zeigen: Beim ernsthaften Sammeln von Chronometern geht es nie, niemals um die schiere Menge. Sondern um die Passion für diese die Seele besonders ansprechende und vor Traditionen und Mythen strotzende Handwerkskunst. Der Wert einer solchen Sammlung lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Es geht vielmehr um die Erfahrungen und Erlebnisse, die jeder Sammler auf seiner persönlichen Uhrenreise macht. Um die Jagd, die in diesem Fall zum Sammeln gehört, denn selbst wenn einer „FAST alle“ hat, dann gibt es garantiert auch für ihn mindestens noch eine Unerreichte, eine weitere Trophäe. Aber welche Arten gibt es um eine Sammlung aufzubauen? Das erklären wir hier.
Das Budget
Am Anfang steht die unsinnlichste Komponente einer jeden Uhrensammlung: Welche Summe kann ich – guten Gewissens – investieren? Sicher darf man sich sein: Auch jene Sammler, die heute in Blogs und auf Instagram & Co. ihre Preziosen von Patek Philippe, Breguet, F. P. Journe, Richard Mille und anderen zeigen, haben höchstwahrscheinlich mit deutlich kleineren Budgets begonnen. Mit dem nötigen Geld in eine Boutique gehen und einen sechsstelligen Betrag für einen Tourbillon ausgeben kann schließlich jeder Neureiche.
Eine wahrhaftige Sammlung aber besteht vor allem aus Begeisterung für die Sache an sich, und diese entsteht und wächst über Jahre und im Rahmen der Vermögensverhältnisse. Nicht nur am Anfang eines Sammlerweges darf also gern eine Swatch Sistem51 stehen, eine Casio, eine Hamilton oder eine schlichte Seiko. Es gibt unzählige passionierte Uhrensammler und Experten, die niemals mehr als ein paar hundert Euro für ein Modell ausgeben würden. So schön und gut also eine Rolex auch ist: Ein kluger Sammler trägt immer innerhalb seiner Möglichkeiten zusammen. Das gilt beim Stöbern bei Juwelieren ebenso wie auf Ebay oder Chrono24. Und ganz besonders: bei Auktionen, wo sich schon manch einer im Bietergefecht mitreißen ließ und unbedacht bei Summen mitging, die später dann Bauchschmerzen bereiteten. Uhren sind etwas Wunderbares, aber sie sind am Ende des Tages ein Hobby, keine Notwendigkeit.
Das Design
Neben der Preiskomponente sind die meisten Sammler-Karrieren zumindest am Anfang optisch getrieben. Klar: Wir kaufen, was wir schön finden. Das ist zum einen natürlich hundertprozentig richtig und verständlich, zum anderen sollte es sich jeder Sammler immer und immer wieder in Erinnerung rufen: Ist das, was ich da gerade begehre, auch wirklich und zutiefst nach meinem Geschmack? Das kann angenehm erden.
Denn ohne der guten Hand voll Uhrenmodelle, die gerade – befeuert durch ihre Dauerpräsenz auf Social Media – als heilige Grale gefeiert werden, ihren Mythos absprechen zu wollen: Es gibt so unendlich viel jenseits von Daytona, Submariner, Nautilus und Royal Oak zu entdecken und zu sammeln. Vielleicht verliert man sein Herz an Chronometer in Keramik-Optik? Oder Uhren aus den 50er-Jahren? Vielleicht sind es Uhren im Bauhaus-Look von Junghans bis Nomos. Der eine begeistert sich für die Idee, verschiedene (Hightech-)Materialien zu kombinieren und verliebt sich darum prompt in Hublot, der andere hat ein Herz für Fliegeruhren-Designs und schwärmt fortan für IWC, Zenith und Breitling.
Die Marke
Früher oder später gelangen viele Sammler an einen Punkt, an dem eine ansprechende Optik in Verbindung mit hochwertigen Werken nicht mehr reicht. Viele von ihnen beginnen dann, sich auf eine oder auch mehrere bestimmte Marken zu konzentrieren. Rolex gilt als die mit Abstand populärste unter den ebenso beliebten wie höchstwertigen Verdächtigen. Geschichte, Qualität und Wertbeständigkeit haben hier über die Jahrzehnte einen Mythos geschaffen, dem sich kaum einer komplett entziehen kann.
Auch das Sammeln von Omega- oder Cartier-Modellen ist populär. Und in den 1980er-Jahren retteten die preiswerten Plastikuhren von Swatch nicht nur die Schweizer Uhrenindustrie, sondern wurden zu begehrten Sammlerstücken – ein Hype, der bis heute hält, wenn limitierte Modelle wie die in Zusammenarbeit mit Künstler Damien Hirst entstandene „Spot Mickey“-Uhr erst rasend schnell vergriffen sind, um dann auf dem Zweitmarkt zu Spekulationsobjekten zu werden.
Und wenn man in Richtung der Haute Horlogerie blickt, dann hat vermutlich jeder Uhrenhändler einige Kunden von denen er weiß: Der kauft eh alles! Also Audemars-Piguet-Sammler beispielsweise, die JEDES Jahr JEDE Neuheit erwerben. Weil diese eine Marke ihnen alles bedeutet, und es eben nicht mehr allein um Design geht, sondern darum, die eigene Sammlung vollständig zu halten.
Die Komplikation
Nach dem vorangegangenen kleinen Ausflug in die Champions League der Uhren-Connaisseure gibt es noch eine andere Art des Sammlungs-Aufbaus: Nicht die Marke bestimmt hier die Vorgehensweise, sondern die Begeisterung für eine bestimmte Komplikation oder Uhrengattung. Das können Chronographen ganz allgemein sein, wobei die meisten Sammler das Feld aus Gründen der Machbarkeit noch weiter einengen. Da werden dann nur Chronographen eines bestimmten Jahrzehnts gesammelt, vielleicht auch nur Schleppzeiger-Chronographen oder solche mit einer Pulsator-Skala. Ähnlich lassen sich Sammelfelder für Chronometer mit Mondphasen finden, für Tourbillons oder Minuten-Repetitionen, für auch schlichte und genau darum betörende Dreizeiger-Uhren oder auch für Taucheruhren.
Die innere Stimme
Was genau die Seele einer Sammlung ausmachen soll, das kann jedem Sammler also nur die Zeit, die wachsende Erfahrung und das beständige Horchen auf die innere Stimme sagen: Was berührt einen? Ist es die eine Marke oder die eine Art Uhr? Ist es ein Zeitalter oder eine Farbe? Ein Design-Code oder ein Material? Dass einem auf so einer Sammler-Odyssee Fehler unterlaufen, darf dabei aber nicht abschrecken, es gehört vielmehr dazu. Geschmäcker entwickeln und verändern sich. Fach- und Markenwissen benötigt Geduld und Ausdauer. Der eine konzentriert sich auf einige wenige Modelle, dem anderen geht es um eine möglichst umfassende Sammlung. So gesehen gibt es keinen richtigen Weg zu sammeln, aber nur ein richtiges Motiv: Die Freude an der Auseinandersetzung mit einem Stück Handwerk, das weit mehr als nur ein Produkt hervorbringt, und welches darum nicht ohne Grund als eine hohe Form der Kunst betrachtet wird.