Die Elevator Boys wollen von TikTok-Stars zur Boy Band werden. Darüber haben wir mit ihnen gesprochen.
Das Fotostudio, in dem an einem Freitagmorgen im Mai ein Elevator Boy nach dem anderen eintrudelt, fühlt sich an wie eine Mischung aus der Umkleidekabine eines Fußballvereins und dem Backstage-Bereich einer Armani-Fashion-Show in Mailand. An die Fußballkabine erinnern die freien Oberkörper, die sich aneinander vorbeidrängen, das Klatschen der Hände beim gegenseitigen Begrüßen, die Düfte der Deos und Duschgels, das starke Band zwischen jungen Männern. Zusammenhalt. Team. Kampf. Erfolg.
An Mailand erinnern die Steamer, mit denen Mode von morgen aufgebügelt wird, die Mühe, die in das Sitzen der Frisuren und in den Glow der Gesichter gesteckt wird, die konzentrierte Professionalität aller Mitwirkenden. Das Blitzlicht. Die Produktion. Die Maschinerie. Willkommen bei einem normalen Arbeitstag der Elevator Boys im Jahr drei ihres gigantischen Erfolgs. (Lesen Sie auch: Taucheruhr 2024: Das sind die schönste Modelle des Sommers)
TikTok erobert die Fashion Branche
Folgende Episode ereignete sich im vergangenen Jahr in Mailand. Hollywoodstar Jake Gyllenhaal betritt gut erkennbar, ohne Sonnenbrille und ohne Cap, die Prada-Modenschau. Kaum jemand nimmt Kenntnis von dem Megastar. Als wenige Minuten später Jacob Rott vorgefahren wird, bestürmen Fotografen ihn, Fans kreischen, viele wollen Selfies. Rott lächelt freundlich. Er ist ein perfektes Beispiel dafür, dass etliche Fashionbrands ihre Schauen kaum noch ohne große Influencer oder Content Creator ausrichten. Ob die dabei aus der First Row Instastories rausballern oder selbst über den Laufsteg laufen, wie Jacob es zurzeit oft tut, ist dabei fast egal.
Spricht man Jacob auf die Szene mit Jake Gyllenhaal an, wiegelt er natürlich bescheiden ab. Demut und Dankbarkeit gehören in das Markenbild der Elevator Boys und tatsächlich glaubt man ihnen, wie gerne sie ihre Erfolgsgeschichte gemeinsam erleben. Angefangen hat diese Geschichte mitten in der Pandemie, als TikTok in Deutschland noch eine relativ exotische Social-Media-Plattform war, von der niemand ahnen konnte, dass Bundeskanzler Olaf Scholz eines Tages seine Aktentasche dort reinschleppen würde. Es waren vor allem die Elevator Boys, die die App in Deutschland berühmt gemacht haben – mit kurzen Reels aus einem Fahrstuhl in einem Einkaufszentrum nahe ihrer Heimat, dem Speckgürtel von Frankfurt.
Und die Elevator Boys erobern die Welt
Im Laufe der Jahre sind globale Stars wie Brad Pitt und Will Smith mit in den Fahrstuhl der Elevator Boys gestiegen. Jacob Rott, Julien Brown, Tim Schäcker, Luis Freitag und Bene Schulz sind alle Mitte 20, treten inzwischen in großen TV-Shows auf und droppen Reels mit Stars aus allen Teilen der Welt, etwa mit der Sängerin Anitta, die gigantische Followerzahlen in ganz Südamerika vorzuweisen hat. Die Elevator Boys sind Ehrenbotschafter von Südkorea, engagieren sich mit der Organisation HateAid gegen Online Mobbing und setzen sich mit FAQ Health für sexuelle und mentale Aufklärung von Jugendlichen ein. Und genau in dieser Einsatzbreite der fünf Jungs bildet sich wieder die Gleichzeitigkeit von Fußballkabine und Fashionwelt ab, von echten Kerlen und Poster Boys, von Vorbild und Sehnsucht. Die Elevator Boys funktionieren neben Kai Pflaume und Heidi Klum, aber auch neben Giorgio Armani und Miuccia Prada. In den USA werden sie übrigens von derselben PR-Agentur vertreten wie Kim Kardashian und Jennifer Lopez.
Julien sagt, es wundere ihn, dass TikTok immer noch nicht richtig ernst genommen werde von Konzernen, die lieber auf konservative Marketingstrategien setzen. In TikTok sieht er ein komplexes System und er hält es für die Zukunft der Kommunikation. “Wir verstehen es und wir wissen, warum wir es nutzen, aber mich kränkt es nicht, wenn jemand meinen Beruf nicht ernst nimmt.”
“Während Corona haben wir versucht, den Menschen für 20 Sekunden ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, was auch sehr gut funktioniert hat”, sagt Jacob. Dafür habe es viele tolle Rückmeldungen gegeben. Die Leute schrieben Nachrichten, die Elevator Boys hätten ihnen durch eine schwere Zeit geholfen. Für die fünf Jungs fährt der Fahrstuhl immer weiter nach oben. Im Laufe des letzten Jahres sei das Erstellen von neuen Reels irgendwann etwas eintönig geworden, sagt Jacob. Nun steht das bisher wohl größte Vorhaben in der Karriere der Elevator Boys an: Die Umwandlung vom Internetphänomen zur Boy Band. Sie gehen damit zurück zu einem Pop-Format, das aus einer Zeit lange vor TikTok stammt. Klassische Boy Bands gibt es heute kaum noch. Die schmachtenden Blicke aber sind geblieben und haben auch ohne eigene Musik zum Durchbruch der Elevator Boys vor drei Jahren beigetragen. Nötig hätten sie den Schritt ins Musikgeschäft sicher nicht gehabt. Keiner kann ihnen vorwerfen, die Elevator Boys würden sich nichts trauen.
Die Elevator Boys verwandeln sich zur Boy Band
Luis sei schon immer der “Head of Music” in der Gruppe der Elevator Boys gewesen, erzählt er und habe sich um alle Fragen rund um musikalische Themen gekümmert. “Für mich ist das Schönste an unserem Job, wenn wir im Studio sind und Musik machen oder wenn wir Live Performances vorbereiten. Ich gucke nach rechts und gucke nach links und sehe, wie die Jungs ihr Herz ins Mikro singen", sagt Luis.
Seit über einem Jahr ist die Musik ins Zentrum der Elevator Boys gerückt. Mit “Ruin Me” und “Parachute” sind die ersten Singles draußen. Am 19. Juli erscheint die EP “Sacred To Love”. Am Vorabend spielen die Elevator Boys ihr erstes Konzert, alles ohne Playback, in Berlin im Festsaal Kreuzberg. Die Tickets kosten 20 Euro. Zum Vergleich: Wenn Adele dieses Jahr im August in München ihr einziges Deutschlandkonzert spielen wird, kosten die Tickets für den Bereich kurz vor der Bühne knapp 500 Euro.
“Wir wollen uns nicht verbrennen", sagt Tim. "Wir wollen gleichzeitig aber auch sehr viele Projekte umsetzen.” Der Plan, eine Boy Band zu werden, sei ein Mammutprojekt mit vielen Studio Sessions, Meetings, Choreos. Mit dem Druck, immer präsent sein zu müssen, könne Tim gut umgehen, sagt er, im vollen Bewusstsein, nach den Sternen zu greifen.
Jacob sagt: “Durch die Musik haben wir einfach einen Kanal für uns gefunden, über den wir mehr von unseren Gefühlen und Persönlichkeiten zum Ausdruck bringen können.” Die EP haben sie selbst geschrieben. Die Beats seien von Producern gemacht worden, aber entstanden sei die Musik durch die Elevator Boys selbst. “Wie ein Puzzle”, sagt Jacob, “aber wir haben alles selbst gestaltet”.
Die neueste Single heißt “Insecure”. Wenn man von allen Seiten so viel Aufmerksamkeit und Bestätigung bekommt wie die Elevator Boys, kennen sie dann überhaupt noch Unsicherheit? Jacob antwortet: “Die Aufmerksamkeit hilft einem natürlich als Mood Booster, aber in dem Moment, in dem man einen hohen Anspruch an sich selbst hat, verunsichert einen Aufmerksamkeit natürlich auch.” Auf den Events, auf denen sie seien, müsse alles passen. “Da kann natürlich eine gewisse Anxiety dazukommen", sagt er. “Egal, wie viel man von der Welt gesehen hat und wie viele Menschen man kennengelernt hat, wenn eine bestimmte Person auf einen zukommt, weiß man manchmal nicht, was man sagen soll und ist einfach unsicher.”
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Was hält die Elevator Boys zusammen?
“Erst war die Freundschaft da, dann das Business, jetzt kommt die Musik”, sagt Luis. Dass die Freundschaft der Fünf das Fundament von allem sei, betont jeder von ihnen, wenn man sich einzeln mit ihnen unterhält. Auf die Frage nach dem Zusammenhalt antwortet Jacob, ohne zu zögern: “Kommunikation!” Nachdem sie drei Jahre zusammen gewohnt haben, erklärt er, würden sie oft gefragt, warum es nie Streit zwischen ihnen gebe. “Natürlich sind wir nicht immer alle einer Meinung, aber wir reden so oft darüber, bis wir auf einen Nenner kommen.” Das sei der Schlüssel. Alleine könne man Schnellschüsse machen, die vielleicht auch Fehlentscheidungen seien. Einzelne Jobs etwa, die man umsetze, oder irgendwelche Statements, die man undurchdacht abgebe. “Da sichern wir uns in der Gruppe immer ab.”, sagt Jacob. Bis jetzt habe die Schwarmintelligenz immer geholfen.
Auch Julien beteuert, das Geheimnis des inneren Zusammenhalts sei seiner Meinung nach die Freundschaft, “die ist einfach authentisch”. Wenn der eine mal einen Höhenflug habe, würden die anderen ihn wieder auf den Boden holen. Generell sei die Branche ein Haifischbecken. Man könne überall über den Tisch gezogen werden und müsse sehr aufpassen. Dass die fünf sich gegenseitig aufeinander verlassen könnten, sagt Julien, sei eine ganz große Stärke. (Lesen Sie auch: Aaron Altaras über jüdische Identität in Deutschland: “Ich hatte Angst vor jüdischen Klischees”)
Luis sagt: “Wir behandeln uns nicht wie Arbeitsmaschinen, die Tag und Nacht durchziehen müssen, sondern wie Freunde. Wir gucken auf das Wohlergehen der anderen.” Bene erinnert sich an die Anfangszeit. “Am Anfang war es wie ein Fiebertraum”, sagt er. “Wir waren alle so Dorfjungs und plötzlich erlebt man jeden Tag neue, spannende Sachen. Alles hat sich verändert. Wir mussten Freunde und Familie aufgeben, einfach für das große Ziel, zusammen zu wachsen.”
Wenn man die fünf während des Fotoshootings beobachtet, gewinnt man tatsächlich den Eindruck, sie würden aufeinander Acht geben und seien füreinander da. Das Klischee über junge Männer ist eher, sie würden sich vor allem mit anderen messen wollen. Dazu sagt Jacob: “Über Social Media vergleicht man sich sehr offen mit anderen, aber bei uns ist es ein bisschen anders. Wir sehen uns als Team, in guten als auch schlechten Zeiten.” Er erzählt von einem Auftritt im Londoner Wembley-Stadion vor 80.000 Leuten. “Wenn man sowas mit seinen besten Freunden erlebt, ist das einfach wunderschön.” Deswegen sei die Konkurrenz untereinander nicht so gegeben.
Die Elevator Boys über Erfolg und Druck
Bei einem zufälligen Treffen mit Tim während des Filmfestivals in Cannes steht er am Rande eines roten Teppichs über den gerade Demi Moore durch das Blitzlichtgewitter flaniert. Tim ist als nächster dran, nimmt sich aber die Zeit, kurz zu plaudern. Ob man sich abends auch bei der Filmpremiere sehe, frage ich ihn. Das wisse er gar nicht so genau, sagte er dort und daran lässt sich ablesen, wie viele Empfänge, Photo-Calls, Red Carpets, Dinner und weitere Events man als Elevator Boy an einem normalen Arbeitstag haben dürfte, um nicht mal zu wissen, ob man abends bei der Filmpremiere sein wird oder nicht.
Mit dem rasanten Wachstum der fünf deutschen im internationalen Geschäft mit der Aufmerksamkeit lassen sich auch Begleiterscheinungen ablesen, die das permanente Performen mit sich bringen. Bene erzählt von der letzten gemeinsamen Reise nach Miami, wo die Elevator Boys Radiointerviews gegeben haben, um ihre Musik vorzustellen. Amerika sehe er für die Elevator Boys als ein Land, in dem sie viel erobern könnten. Aber er sagt auch, das Schönste, was es für ihn zurzeit gebe, sei ein Urlaub, “weil das einfach mal losgelöst ist von der Arbeit”. Er sehe die Elevator Boys an einem Punkt des Realisierens, was eigentlich alles passiert sei in den letzten drei Jahren. (Lesen Sich auch: Nicholas Galitzine und Taylor Zakhar Perez im Interview über ihre gemeinsame Romanze)
Natürlich versuchen sie alle, es nach außen hin leicht aussehen zu lassen, sagt Bene. “Aber da steckt schon viel Arbeit dahinter”, gibt er zu, und eben auch eine Firmengründung, ein riesiges Team und eine Strategie. “Wenn ich auf mein Handy gucke, dann kommen da 30 neue Aufgaben rein. Jeder von uns könnte nonstop arbeiten. Wir mussten lernen, das Handy zur Seite zu legen.” Dazu gehöre auch, bei der langfristigen Planung darauf zu achten, irgendwann einmal eine Woche frei zu haben, Zeit für die Familie, sich zu erden.
“Das ist ja alles nicht normal und das wissen wir auch selbst”, sagt Bene. Deswegen müsse man auch mal loslassen. Welchen Beruf er hätte, wenn es die Elevator Boys von heute auf morgen nicht mehr gäbe? “Ich glaube, ich würde nach Australien reisen und erstmal sowas machen, wie auf einer Farm zu arbeiten.” Tatsächlich hat Jacob damals nach dem Abitur auf dem Bau gearbeitet. Für Bene, den jüngsten der Combo, ging es direkt nach dem Abitur mit den Elevator Boys los.
Warum die Elevator Boys ihre WG auflösen
Julien ist als letzter zur Gruppe der Elevator Boys dazugestoßen, erzählt er. Luis und Tim würden sich schon seit acht Jahren kennen. Er sei erst über Social Media mit den anderen in Kontakt gekommen. Als die fünf sich damals kennenlernten, hätten sie eine Content-Reise zusammen geplant, erzählt Julien. Die sei wegen Corona ausgefallen. So kam die Idee, gemeinsam eine Wohnung in Berlin zu mieten. Bis vor ein paar Wochen haben die drei zusammen gewohnt und ihre unglaubliche Erfolgsgeschichte miteinander erlebt. Jetzt werde die Situation neu gestaltet. “Arbeit, Freundschaft und Wohnen an einem Ort ist einfach schwierig bei dem Pensum, das wir haben”, sagt Julien. “Irgendwann hast du das Gefühl, du schläfst im Büro.” Er sagt, “Das Ziel ist, wirklich lange zusammenzubleiben.”
Drei Jahre lang haben die fünf Jungs mit einem Kameramann zusammengewohnt, “was ein immenser Vorteil in der Geschwindigkeit des Content Outputs war”, erklärt Tim. Die Fünfer-WG haben sie nun gerade aufgelöst. Tim erklärt: “Wir sind beste Freunde, zusätzlich noch Businesspartner und auch Produkt dieses Businesses. Wir reisen zusammen und hängen somit 24/7 aufeinander.” Künftig wohnen Tim und Jacob mit dem Kameramann zusammen, Luis allein und Julien und Bene zu zweit zusammen, damit die Fünf nicht allzu viel einander ausgesetzt sind und, “um präventiv die Mental Health der Gruppe aufrecht zu erhalten und wir uns nicht über irgendwelche Alltagsdinge streiten müssen.” (Lesen Sie auch: Joseph Quinn im Interview: “Stranger Things hat mein Leben in einer Weise verändert, die ich mir nicht vorstellen konnte.”)
“Ein Urlaub ist schwer möglich mit all den Projekten, die wir realisieren wollen. Wir machen einen Dauerjob.” Zu den rund zehn Festangestellten der Firma Kabu Artists zählt eine Kommunikationsstrategin, ein Kreativdirektor, das Talent Management, ein CEO und ein CFO, “wie ein kleiner Betrieb”, sagt Tim, “die müssen natürlich auch alle bezahlt werden”. Es gebe ”so viele Brainstormings zu neuen Themen und Feedback Loops”, wie Tim sagt, “dass wir einfach dauerhaft am Ball sein müssen und den ganzen Tag miteinander kommunizieren.”
Von TikTok in die Welt und gleichzeitig in den deutschen Samstagabendshows, als Models auf den Laufstegen und nun als Boy Band auf den Bühnen – es ist eine Karriere fünf deutscher junger Männer, die sich als Entertainment-Wunderwaffe selbst erfunden haben und dabei jeden Schritt so gründlich reflektieren, dass sie sich nicht verbrennen an der glühenden Aufmerksamkeit, die ihnen entgegengebracht wird. Vielleicht stimmt es, dass das Geheimnis der Elevator Boys einfach die Freundschaft ist, die sie wirklich zueinander haben. Oder wie Jacob es sagt: “Alles ist ein Gruppenerfolg. So sehen wir es als Gruppe.”
Ulf Pape ist Senior Culture Editor bei GQ.
PRODUKTION
Fotografie: Debora Brune von DILLER Global
Styling: Léon Romeike
Haare: Dennis Brandt mit Oribe
Make-up: Paloma Britschka
Produktion: DILLER Global
Foto-Assistenz: Lea Bütefisch, Ola Rebisz, Patrick Schardt
Casting: Dominik Wimmer